Offensichtlich ist am deutschen Bundespräsidenten eine einjährige gesellschaftspolitische Debatte vorübergegangen.
Mit der Unterzeichnung des Zugangserschwerungsgesetzes hat das Staatsoberhaupt nicht nur eine Chance vertan, auf hunderttausende Zensursula – Gegner und die gesamte Netzbewegung zuzugehen und sie von der Sinnhaftigkeit staatlichen Handelns zu überzeugen. Er provoziert sie ohne Not sogar mit seiner hämischen Bemerkung, dass seinerseits keine „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ gegen das Gesetz bestünden.
Die bestehen durchaus. Natürlich muss jetzt der Weg vor das Bundesverfassungsgericht gegen dieses Gesetz beschritten werden. Aber mit seiner Bemerkung provoziert Köhler sogar das höchste deutsche Gericht selbst: Dieses hatte den Deutschen Bundestag aufgefordert, bis Mitte Februar zur Frage Stellung zu beziehen, ob es sich überhaupt um eine ordnungsgemäße Gesetzgebung gehandelt hat. Köhler wusste das- und nicht nur von mir.
Jetzt aber, parallel vor dieser mit Spannung erwarteten Erklärung dieses Gesetz zu unterschreiben, geht wohl als trauriges Kapitel in die Amtsgeschichte deutscher Bundespräsidenten ein. Er hat sich im Gegensatz zum BVerfG nicht einmal ansatzweise dafür interessiert, unter welch dubiosen Umständen dieses Machwerk im Deutschen Bundestag mit ständig veränderten Texten zustande kam.
Dass Köhler ein Gesetz zu unterschreibt, von dem die Bundesregierung sagt, sie wolle es formal nicht anwenden, ist ein weiterer trauriger Höhepunkt in der schon symbolischen Verkommenheit dieses Gesetzgebungsverfahrens.
Als ob es nicht genug der Provokationen wäre, fordert der Bundespräsident die Bundesregierung ausdrücklich noch dazu auf, dass sie „auf der Grundlage des Gesetzes Kinderpornografie im Internet effektiv und nachhaltig bekämpft“.
Ein Tritt in den verlängerten Rücken…
Diese offenkundige Verhöhnung ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der deutschen Bürgerrechtsbewegung. Da das Bundeskriminalamt sich um das Gesetzgebungsverfahren bislang ohnehin nicht geschert hat, ist dies zugleich eine weitere Einladung an die Polizeidienststellen, die Zensurinfrastruktur zügig auszubauen. Eine Exekutive, die sich ermuntert durch den deutschen Bundespräsidenten nicht an Gesetze hält, ist ein Vorgang, bei dem man auf der Suche nach Vergleichen rückblickend erst in der Weimarer Zeit fündig wird.
Die angeschlagene FDP ist nun in einem Dilemma: Sie ist zur Zeit nicht stark genug, ein Gesetz zur Außerkraftsetzung durchzusetzen, wie es die Grünen fordern. Tut sie es aber nicht,hat sie ihren einzigen bürgerrechtlichen Erfolg bei den Koalitionsverhandlungen endgültig verspielt.
Dies ist für Westerwelle, Leutheusser & Co um so bitterer, als die FDP- mitregierten Länder bisher auch keine Anstalten machen, den Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu kippen. Der aber ist der Einstieg in Internetsperren weit über die Bekämpfung der Kinderpornografie hinaus.
Statt Kaffeekränzchen auf der Strasse zeigen…
Nicht nur die FDP befindet sich nun strategisch in einer schwierigen Situation: Es geht um die gesamte Freiheit statt Angst – Bewegung, die jetzt mit leeren Händen dasteht. Es wird daher Zeit, sich neue Strategien zu überlegen. Man fühlte sich bis hin zu Kaffeekränzchen bei Frau Leutheusser- Schnarrenberger zuletzt von der Politik plötzlich verstanden und umarmt.
Jetzt kam für viele unerwartet, schmerzhaft, brutal und vom höchsten staatlichen Repräsentanten der Republik selbst der heftige Tritt in den verlängerten Rücken. Vielleicht macht dies in einigen Köpfen deutlich, dass es mit Hoffnung auf Einsicht und Vernunft in Sachen Netzpolitik jetzt schon gar nicht nicht mehr getan ist.
Es ist daher die Stunde des AK Zensur und der Piraten, die sie hoffentlich zu nutzen verstehen. Ein erstes Signal ist schon heute möglich: Um 18.00 Uhr gibt es eine Zusammenkunft in Berlin am Schloss Bellevue, dem Amtssitz Köhlers.
Viel mehr sollte für den 22. 2. überlegt werden:
Da veranstaltet der Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag just-in-time um 13.00 Uhr seine Anhörung zu Zensursula. eine gute Gelegenheit, sich auf der Strasse zu zeigen!
Zum Thema auch den unten stehenden Artikel „Ein fader Triumph….“