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Bundeskriminalamt wortkarg- nicht in der „Welt“

Vor geraumer Zeit hat der Präsident des Bundeskriminalamtes, Ziercke, in einem Welt – Interview die Löschung von IP- Adressen angesprochen. Die zunächst etwas ironische Anfrage

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=302

entwickelte sich zu einem äußerst interessanten Schriftwechsel.

„Natürlich“  gab es bis heute keine Beantwortung der eigentlichen Frage zur IP- Löschung, sondern vielmehr interessante Betrachtungen zum Zugangserschwerungsgesetz. So teilte  der Sprecher des BKA mit, dass sein Haus „auf gesetzlicher Grundlage ab Wirkbetrieb des Access Blocking auf vertraglicher oder gesetzlicher Basis die Sperrliste generiert.“

Die hierzu gestellte und vom Bundeskriminalamt eigentlich mit einem klaren JA oder NEIN zu beantwortende Frage wurde nicht beantwortet:

Darf ich Ihre 2. Antwort also jetzt so verstehen, dass sie gegenwärtig, trotz einiger bestehender Verträge, noch keine Sperrlisten generieren, sondern das Ende des Gesetzgebungsverfahrens abwarten und auch von den Verträgen keinen Gebrauch machen werden?

Hierzu wurde mir vom BKA folgendes mitgeteilt:

das Bundeskriminalamt wird zu den zitierten Aussagen (Anmerkung: Seines Präsidenten!!!) in der Tageszeitung „Die Welt“  keine Stellung nehmen. Das BKA beabsichtigt ebenfalls nicht, auf diesem Wege zu Verfahrensweisen und Weisungslagen, die sich aus der Unterzeichnung eines Gesetzes (Anmerkung: Zugangserschwerungsgesetz) durch den Bundespräsidenten ergeben, Stellung zu nehmen. Bitte wenden Sie sich an das Bundesministerium des Innern.

Das habe ich jetzt getan.

Der gesamte bisherige Mail- Verkehr ist nachstehend dokumentiert.

An die Pressestelle des Bundesministerium des Innern (19.2.)

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit geraumer Zeit korrespondiere ich mit dem BKA, das allerdings in seiner Auskunftsfreude erheblich zu wünschen übrig lässt und nun zuletzt an Sie verwiesen hat. Der gesamte Mailverkehr ist angehängt.
Neben anderen offenen Fragen geht es um die nachfolgenden Punkte zum Zugangserschwerungsgesetz und zur Löschung von IP- Adressen. Zur Beantwortung ersterer Fragen hat die Pressestelle des BKA nunmehr an Sie verwiesen.

>Sie (also das BKA) sprachen davon, auf vertraglicher Grundlage, also nicht auf gesetzlicher Grundlage, Sperrlisten zu generieren. Ich frage also noch einmal, auf welcher Grundlage von Ihnen nun Sperrlisten generiert werden?

Deshalb die Frage an das BMI: Auf welcher Grundlage generiert das BKA derzeit Sperrlisten?

>Dies frage ich auch vor dem Hintergrund der Koalitionsvereinbarung der die Bundesregierung tragenden Parteien, die sich nach deren Auskunft darauf verständigt haben, Ihr Haus, also das BKA, anzuweisen, „dieser Aufgabe nicht nachzukommen“. Ist diese Anweisung gegenüber Ihrem Haus (dem BKA) erfolgt, wann ist sie eingegangen und wird sie befolgt? Sollte keine Anweisung eingegangen sein, ist dies natürlich auch von grossem Interesse.

Deshalb die Frage an das BMI: Ist die Weisung nach dem Willen der Bundesregierung erfolgt und wird sie vom BKA befolgt?

>Heute ( also am 18. 2.) hat nun hat der Herr Bundespräsident dessen ungeachtet das so genannte Zugangserschwerungsgesetz in Kraft gesetzt. Bedeutet dies für Ihr Haus nun eine Änderung für Ihre praktischeArbeit, ändert sich nichts bzw. was ändert sich möglicherweise auch unter dem Gesichtspunkt der angesprochenen Weisung?

Keine Antwort erhielt ich auf meine Anfrage vom Präsidenten des BKA zu dessen im Interview mit der Welt angesprochenen Löschung von IP- Adressen. Welche Erkenntnisse liegen dem BMI zu den Möglichkeiten und der Realisierung der Löschung von IP-Adressen vor?

Wie beurteilt das BMI die Tatsache, dass der Präsident einer nachgeordneten Behörde zwar erfreulich interviewfreundig ist, andererseits von ihm und seinem Haus keine kritischen Nachfragen beantwortet?
Vom BKA erhielt ich erhielt ich zu diesen Themen wie ausgeführt keine Antwort und zu den anderen angesprochenen Fragen heute (19.2.) die nachfolgende Antwort mit dem erwähnten Verweis auf Sie.

Aus diesem Grunde bitte ich jetzt Sie um Auskunft und bitte um Verständnis, wenn ich nun auf eine zeitnahe Beantwortung Wert lege. Irgendwann müssen Artikel  fertig geschrieben werden. Eine Kopie dieser Mail geht an das BKA.

Mit freundlichen Grüssen
Jörg Tauss

BKA an Tauss vom 19. 2.
>Sehr geehrter Herr Tauss,
>das Bundeskriminalamt wird zu den zitierten Aussagen in der Tageszeitung „Die Welt“ keine Stellung nehmen.
>Das BKA beabsichtigt ebenfalls nicht, auf diesem Wege zu Verfahrensweisen und Weisungslagen,
>die sich aus der Unterzeichnung eines Gesetzes durch den Bundespräsidenten ergeben, Stellung zu nehmen.
>Bitte wenden Sie sich an das Bundesministerium des Innern.

>Mit freundlichen Grüßen
>Im Auftrag

>Bundeskriminalamt Wiesbaden
>Öffentlichkeitsarbeit

Tauss an BKA (2.2.)

Sehr geehrter Herr…,

offensichtlich reden wir etwas aneinander vorbei. Ich bedauere, wenn ich mich so missverständlich ausdrücke. Daher nehme ich jetzt unmittelbar auf Sie Bezug:

>woraus Sie schließen, dass das BKA ohne gesetzliche Grundlage an Sperrlisten arbeitet, kann ich nicht nachvollziehen.

Indem Sie davon sprachen, auf vertraglicher Grundlage Sperrlisten zu generieren. Ich zitiere (Sie, das BKA): „d.h. ab Wirkbetrieb des Access Blocking auf vertraglicher oder gesetzlicher Basis, die Sperrliste generieren. Darf ich Ihre 2. Antwort also jetzt so verstehen, dass sie gegenwärtig, trotz einiger bestehender Verträge, noch keine Sperrlisten generieren, sondern das Ende des Gesetzgebungsverfahrens abwarten und auch von den Verträgen keinen Gebrauch machen werden?

>Da Ihre erste Anfrage wenig konkret war, hatte ich versucht, etwas ausführlicher zu dem Thema zu antworten.

Hierfür bedanke ich mich. Ich hatte mich bei meiner ersten Anfrage allerdings überhaupt nicht auf die leidigen Sperrlisten bezogen. Vielmehr bezog mich auf Äußerungen Ihres Präsidenten, er wolle IP- Adressen LÖSCHEN. Insofern darf ich einfach nochmals aus dieser Mail, die auch unten angehängt ist, zitieren. Ich wollte wissen, wie es geht:

IP- Adressen (zu) löschen bzw. wie eine IP- Adresse gelöscht werden kann und wie oft Sie bei der Verfolgung krimineller Elemente IP- Adressen löschen oder gelöscht haben?

Der von Ihnen selbst hergestellte Zusammenhang aus der Löschung einer IP- Adresse und der Sperrliste erschliesst sich mir nicht. Denn mit einer Sperre wird auch nicht gelöscht. Deshalb meine Frage nach Löschung. Ich hoffe, dass ich jetzt etwas verständlicher geworden bin.

Mit freundlichen Grüßen Jörg Tauss

Von: Jörg Tauss an BKA

Löschung von IP- Adresse:

Sehr geehrter Herr….

vielen Dank für Ihre Antwort. Sie passt allerdings nicht zur Frage. Diese bezog sich ausdrücklich auf die Löschung von IP- Adressen, die Möglichkeit der Sperrung von IP- Adressen und konkret auf Äußerungen des BKA- Präsidenten.

Allerdings entnehme ich Ihrer Antwort zudem etwas ganz anderes: Nämlich dass das BKA unverändert und ohne jegliche gesetzliche Grundlage an Sperrlisten arbeitet. Habe ich das richtig verstanden?

Mit freundlichen Grüßen Jörg Tauss (mit voller Postanschrift)

BKA an Tauss (2.2.)

Sehr geehrter Herr Tauss,

beim Bundeskriminalamt laufen eine Vielzahl von Informationen zu strafbaren Inhalten im Internet, insbesondere auch zu kinderpornografischen Inhalten, zusammen. Im Rahmen unserer täglichen Arbeit gehen wir selbstredend Hinweisen auf kinderpornografische Inhalte im WWW nach, um aus diesen Hinweisen (sowie aus ausländischen Sperrlisten) zukünftig d.h. ab Wirkbetrieb des Access Blocking auf vertraglicher oder gesetzlicher Basis, die Sperrliste zu generieren.

Bei Angeboten, die auf Servern im Ausland liegen, unterrichten wir im Rahmen des internationalen polizeilichen Nachrichtenaustauschs auf dem Interpol Weg die zuständigen Stellen.

Bereits existierende ausländische Sperrlisten können hier nicht ohne eigene – auf der deutschen Gesetzgebung fußende, inhaltliche – Bewertung im Einzelfall übernommen werden, da im Ausland die Definition der Begriffe „Kind“ und „Pornografie“ abweicht. Festzuhalten ist, dass mit den anderen europäischen Staaten, die Access-Blocking betreiben, enge Abstimmungen auch bezogen auf die Generierung der Listen erfolgen werden, das Bundeskriminalamt aber ohne eigene Prüfung keinen Eintrag auf seiner Sperrliste vornehmen wird.

Der §163  StPO (Legalitätsprinzip) ist dem Bundeskriminalamt bekannt. Die erforderlichen Maßnahmen werden von hier aus eingeleitet. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus ermittlungstaktischen Gründen hierzu keine Einzelheiten mitteilen. Bei künftigen Anfragen geben Sie bitte Ihre volle Anschrift an, da wir üblicherweise keine anonymen Anfragen beantworten.

Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag

Bundeskriminalamt Wiesbaden

Tauss an BMI, 19. 2.

Sehr geehrte Damen und Herren,

laut Pressemeldungen hat Herr Präsident Ziercke über die „Sperrung von IP- Adressen“ im Internet erneut wichtige und wegweisende technische Dinge gesagt. Dies führte in meinem Bekanntenkreis, dem sogar Informatiker angehören, zu meinem Bedauern zu sehr ironischen Anmerkungen über das BKA. Diese Polemik wird zweifelsohne Ihrer wichtigen Arbeit und dem Ernst der unglaublichen Bedrohungen, die täglich unser Land heimsuchen, nicht gerecht. Noch schlimmer: Jetzt wurde durch den genannten Personenkreis bei diesen Gesprächen sogar die Fachkompetenz des höchsten deutschen Polizeirepräsentanten und des BKA angezweifelt. Dies geht mir nuneindeutig zu weit und es erschüttert mich geradezu. Wem soll man noch glauben, wenn man schon Ihnen nicht mehr glauben könnte? Da ich also sicher annehme, dass dem BKA entsprechende Erkenntnisse vorliegen, bitte ich Sie als technischer Laie um fachkundige Argumentationshilfe, wie Sie IP- Adressen löschen bzw. wie eine IP-Adresse gelöscht werden kann und wie oft Sie bei der Verfolgung krimineller Elemente IP- Adressen löschen oder gelöscht haben? Könnten wir Bürger Sie bei Ihrer Arbeit möglicherweise sogar entlasten, indem wir künftig selbst IP- Adressen löschen, die uns verdächtig erscheinen?

Es wäre mir ein Vergnügen, diesen destruktiven BKA- Kritikern staatsbürgerlich mit Ihrer Hilfe, mit der Macht des Wortes und unter Verwendung Ihrer Hintergrundinformationen mit noch größerer Fachkunde entgegen treten zu können!

Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen verbleibe ich Jörg Tauss (MdB von 1994 – 2009)

Köhler provoziert

Offensichtlich ist am deutschen Bundespräsidenten eine einjährige gesellschaftspolitische Debatte vorübergegangen.

Mit der Unterzeichnung des Zugangserschwerungsgesetzes hat das Staatsoberhaupt nicht nur eine Chance vertan, auf hunderttausende Zensursula – Gegner und die gesamte Netzbewegung zuzugehen und sie von der Sinnhaftigkeit staatlichen Handelns zu überzeugen. Er provoziert sie ohne Not sogar mit seiner hämischen Bemerkung, dass seinerseits keine „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ gegen das Gesetz bestünden.

Die bestehen durchaus. Natürlich muss jetzt der Weg vor das Bundesverfassungsgericht gegen dieses Gesetz beschritten werden. Aber mit seiner Bemerkung provoziert Köhler  sogar das höchste deutsche Gericht selbst: Dieses hatte den Deutschen Bundestag aufgefordert, bis Mitte Februar zur Frage Stellung zu beziehen, ob es sich überhaupt um eine ordnungsgemäße Gesetzgebung gehandelt hat. Köhler wusste das- und nicht nur von mir.

Jetzt aber, parallel vor dieser mit Spannung erwarteten Erklärung dieses Gesetz zu unterschreiben, geht wohl als trauriges Kapitel in die Amtsgeschichte deutscher Bundespräsidenten ein. Er hat sich im Gegensatz zum BVerfG nicht einmal ansatzweise dafür interessiert, unter welch dubiosen Umständen dieses Machwerk im Deutschen Bundestag mit ständig veränderten Texten zustande kam.

Dass Köhler ein Gesetz zu unterschreibt, von dem die Bundesregierung sagt, sie wolle es formal nicht anwenden, ist ein weiterer trauriger Höhepunkt in der schon symbolischen Verkommenheit dieses Gesetzgebungsverfahrens.

Als ob es nicht genug der Provokationen wäre, fordert der Bundespräsident die Bundesregierung ausdrücklich noch dazu auf, dass sie „auf der Grundlage des Gesetzes Kinderpornografie im Internet effektiv und nachhaltig bekämpft“.

Ein Tritt in den verlängerten Rücken…

Diese offenkundige Verhöhnung ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der deutschen Bürgerrechtsbewegung. Da das Bundeskriminalamt sich um das Gesetzgebungsverfahren bislang ohnehin nicht geschert hat, ist dies zugleich eine weitere Einladung an die Polizeidienststellen, die Zensurinfrastruktur zügig auszubauen. Eine Exekutive, die sich ermuntert durch den deutschen Bundespräsidenten nicht an Gesetze hält, ist ein Vorgang, bei dem man auf der Suche nach Vergleichen rückblickend erst in der Weimarer Zeit fündig wird.

Die angeschlagene FDP ist nun in einem Dilemma: Sie ist zur Zeit nicht stark genug, ein Gesetz zur Außerkraftsetzung durchzusetzen, wie es die Grünen fordern. Tut sie es aber nicht,hat sie ihren einzigen bürgerrechtlichen Erfolg bei den Koalitionsverhandlungen endgültig verspielt.

Dies ist für Westerwelle, Leutheusser & Co um so bitterer, als die FDP- mitregierten Länder bisher auch keine Anstalten machen, den Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu kippen. Der aber ist der Einstieg in Internetsperren weit über die Bekämpfung der Kinderpornografie hinaus.

Statt Kaffeekränzchen auf der Strasse zeigen…

Nicht nur die FDP befindet sich nun strategisch in einer schwierigen Situation: Es geht um die gesamte Freiheit statt Angst – Bewegung, die jetzt mit leeren Händen dasteht. Es wird daher Zeit, sich neue Strategien zu überlegen. Man fühlte sich bis hin zu Kaffeekränzchen bei Frau Leutheusser- Schnarrenberger zuletzt von der Politik plötzlich verstanden und umarmt.

Jetzt kam für viele unerwartet, schmerzhaft, brutal und vom höchsten staatlichen Repräsentanten der Republik selbst der heftige Tritt in den verlängerten Rücken. Vielleicht macht dies in einigen Köpfen deutlich, dass es mit Hoffnung auf Einsicht und Vernunft in Sachen Netzpolitik jetzt schon gar nicht nicht mehr getan ist.

Es ist daher die Stunde des AK Zensur und der Piraten, die sie hoffentlich zu nutzen verstehen. Ein erstes Signal ist schon heute möglich: Um 18.00 Uhr gibt es eine Zusammenkunft in Berlin am Schloss Bellevue, dem Amtssitz Köhlers.

Viel mehr sollte für den 22. 2. überlegt werden:

Da veranstaltet der Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag  just-in-time um 13.00 Uhr seine Anhörung zu Zensursula. eine gute Gelegenheit, sich auf der Strasse zu zeigen!

Zum Thema auch den unten stehenden Artikel „Ein fader Triumph….“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=439

Ein fader Triumph – das BKA macht munter weiter…

(Aktualisiert am 10.2., 10.50 Uhr)

Ist der „Kurswechsel“ der Bundesregierung in Sachen „Zensursuala“ tatsächlich ein Triumph der „libertären Internetgemeinde“, wie SPIEGEL- Schreiber festzustellen glauben?

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,676669,00.html

Natürlich war es zunächst ein toller Erfolg der Petenten und der gesamten Bewegung, von Franziska Heine bis hin zum AK Zensur, dass die Berliner Sperrszene rund um Zensursula gründlich aufgemischt wurde. Sperren finden, entgegen der Planung, seit dem 1.8.2009 tatsächlich nicht statt.

Übrigens auch, weil in der handwerklichen Schludrigkeit des Zensursula- Gesetzgebungsverfahrens „Europa“ erst spät und dann mit falschem Text unterrichtet worden war. Und weil der Bundespräsident kein Gesetz unterschreiben wollte, das nach seiner Unterschrift per schwarz-gelbem Verwaltungsakt gleich wieder ausser Kraft gesetzt werden sollte. Diese Verlotterung der Gesetzgebung konnte Köhler nicht mitmachen. Sein Amt stellte daher erst einmal irritierte Nachfragen. Übrigens ebenso wie das Bundesverfassungsgericht, das sich beim Rechtsausschuss des Bundestages nach meiner Beschwerde bis Mitte Februar erst einmal Informationen über den zweifelhaften parlamentarischen Gang der Angelegenheit erbeten hat.

Aber was wurde darüber hinaus mehr erreicht? Und was steckt hinter dem „Löschgesetz“? Denn aufgemischt heisst nicht, dass man sich nicht unter neuen Vorzeichen neu sammeln könnte. Noch immer gibt es bei Schwarzgelb keinerlei Anstalten für ein Aufhebungsgesetz, das die sauberste Lösung wäre.

Fragen sind erlaubt. Da beim SPIEGEL bekanntlich mit Augstein der investigative Journalismus gleich mit zu Grabe getragen wurde und dort unten heftig rotiert, legen andere erfreulicherweise  Finger in die Wunden. Zum Beispiel will Netzpolitik.org wissen, wie es denn nun so um die Sperrinfrastruktur bei den Providern bestellt sei?

http://www.netzpolitik.org/2010/zugangserschwerungsgesetz-2-0/

Die Antwort der  Bundesregierung liefert der SPIEGEL gleich mit, ohne dass der perfide Inhalt die nichtlibertären Netzhelden in der SPON Redaktion auch nur ansatzweise zu kritischen Nachfragen einlädt:

Zitat: Man werde sich bis dahin (Anm. also bis zu einem Löschgesetz),  “auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen”, heißt es in der Stellungnahme des Bundeskanzleramts. Und weiter: “Die damit gemachten Erfahrungen werden in die Gesetzesinitiative einfließen.”

Auf Deutsch: Zensursulas Zugangserschwerungsgesetz ist in Kraft, ohne in Kraft zu sein. Der „Triumph“ ist also fade. Und die Frage von Netzpolitik ist beantwortet: Die Zensurinfrastruktur wird weiter installiert. Mit dem Löschgesetz wird auf Zeit gespielt, um die „Internetgemeinde“ ruhig zu stellen.

Denn was wirklich läuft bestätigte der Sprecher des BKA kürzlich in einer Mail an mich:

„Festzuhalten ist, dass mit den anderen europäischen Staaten, die Access-Blocking betreiben, enge Abstimmungen auch bezogen auf die Generierung der Listen erfolgen werden, das Bundeskriminalamt aber ohne eigene Prüfung keinen Eintrag auf seiner Sperrliste vornehmen wird“.

Aha! Ohne Gesetz unterhält das BKA seine Sperrliste und arbeitet daran weiter. Das lässt das Versprechen der Bundesregierung als Drohung empfinden, dass die „gemachten Erfahrungen“, wohlgemerkt die Erfahrungen mit einem nicht rechtskräftigen Gesetz, in die Löschgesetzgebungsberatungen mit einfliessen werden.

Dies ermuntert das BKA natürlich, munter weiter zu machen. Man will

„aus diesen Hinweisen (sowie aus ausländischen Sperrlisten) zukünftig d.h. ab Wirkbetrieb des Access Blocking auf vertraglicher oder gesetzlicher Basis, die Sperrliste generieren“.

Man merkt auf: Gesetzliche ODER vertragliche Basis. Dem BKA ist es also gleichgültig, woran in Berlin augenzwinkernd in Richtung Wiesbaden gebastelt wird: Löschen vor Sperren, Sperren vor Löschen, Löschen statt Sperrren oder demnächst vielleicht Löschen und Sperren. Sperrliste hin oder her. Die Zensurinfrastruktur WIRD errichtet! Und im Zweifel wendet das BKA, ungeachtet des Berliner  Show- Betriebs, noch immer seine durch Nötigung entstandenen Poviderverträge an- vodafone lässt lächelnd grüßen.

Denn die Infrastruktur wird später auch gut anderweitig verwendbar sein. Beispielsweise wenn die Provider  künftig selbst mehr an transportierten Inhalten verdienen wollten oder beispielsweise der Jugendmedienschutzsstaatsvertrag (JMStV) die Sendezeiten im Internet vorschreibt. Am Rande bemerkt erklärt dies vielleicht ansatzweise, warum sich die Provider (mit der löblichen Ausnahme 1&1) aus der JMStV- Debatte sehr auffallend zurückhalten.

Da ich mir nicht vorwerfen lassen will, aber alles nur falsch zu verstehen, habe ich beim BKA noch einmal nachgefragt und meine Vermutungen positiv umgedreht. Schliesslich glaube ich auch noch irgendwie an das Gute bei unseren höchsten Kriminalern:

„Darf ich Ihre Antwort so verstehen, dass das BKA  gegenwärtig, trotz einiger bestehender Verträge, noch keine Sperrlisten generiert, sondern das Ende des Gesetzgebungsverfahrens abwarten und auch von den Verträgen keinen Gebrauch machen wird?“

Das JA oder irgendeine sonstige Antwort steht trotz Erinnerung aus. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt 😉 Die Frage von Netzpolitik.org ist damit wohl klar beantwortet und meine Befürchtung untermauert. Die Herrschaften machen wie ausgeführt munter weiter.

Dies heisst:

Keine Entwarnung! Der Protest geht weiter!

Am besten in Verbindung mit der geplanten Zensursula- Anhörung des Petitionsausschusses 22. 2. Bis dahin sollte irgendjemand vielleicht noch SPON aufklären….. 🙂

Links zum Thema:

Hier eine weitere Stellungnahme des AK Zensur:

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Schwarz-Gelb-plant-statt-Websperren-Gesetz-zur-Loeschung-von-Kinderpornographie-924950.html

http://www.netzpolitik.org/2010/bundesregierung-will-zensursula-gesetz-aber-es-nicht-anwenden/

http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/8/0,3672,8031240,00.html?utm_source=feedburner&utm_medium=twitter&utm_campaign=Feed%3A+heute+%28heute%29

RA Stadler verweist bei Internet-Law wie der AK Zensur und die Grünen auf die Notwendigkeit eines „Aufhebungsgesetzes“ als einzig saubere Lösung. Ich teile diese Auffassung:

http://www.internet-law.de/2010/02/von-der-zugangserschwerung-zur-loschung.html

http://monomosblog.blogspot.com/2010/02/zensur-durch-die-hintertur.html

Ältere Dokumente:

Schreiben mit den Abläufen an die EU- Kommission, die allerdings trotz dieser Vorgänge Zensursula leider nicht stoppen wollte

http://www.tauss.de/index.php?nr=1298&menu=1

Auf die erbärmliche Rolle von vodafone ebenfalls ein Rückblick:

http://www.tauss.de/index.php?seite=786&s=1&menu=1

Liebe Genossen….

….. Ihr begreift es nicht. Ihr wollt es auch nicht begreifen.

Für alle, die es gerne begreifen wollen, hat  1&1 das Machwerk nochmals kommentiert:

1&1- Blog „Quo vadis Jugendschutz? – http://blog.1und1.de/2010/01/29/quo-vadis-jugendschutz-jmstv/

Auch der AK Zensur hat nochmals vor und nach der Anhörung sehr klar Stellung bezogen:

28. 1. 10: http://ak-zensur.de/2010/01/jmstv-anhoerung.html
25. 1. 10: http://ak-zensur.de/2010/01/jmstv-stellungnahme.html

Doch wer verteidigt den Entwurf des Staatsvertrages „Jugendmedienschutz“ JMStV- E  in der politischen Auseinandersetzung gegen solche sachliche und berechtigte Kritik? Richtig: Die SPD Kurt Becks vorneweg! Und seine Propagandaabteilung in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei.

Die anderen Parteien halten sich sehr vornehm zurück, obwohl jede EINZELNE Gelb, Grün oder Rot mitregierte Landesregierung  den rot- schwarzen Unfug verhindern kann! Aber die anderen lassen gerne wieder mal die SPD vor. Sie wissen seit  Zensursula, wie es um die Internet- Tölpelhaftigkeit dieser Partei bestellt ist und reiben sich die Hände. Und die Sozis? Sie merken wieder einmal nicht, wie die allerletzten Felle, sollte man noch welche haben, davon schwimmen. Wenig hört man von den „SPD-Piraten“, immerhin gibt es jetzt eine Stellungnahme von Boehning und Klingbeil, die allerdings Fragen offen läßt und keine klare Absage darstellt:

http://bit.ly/b0pkM7

Alvar Freude (siehe seinen unten stehenden Kommentar mit der Bitte um Sachlichkeit) hat bei dieser Auseinandersetzung mit seiner Empfehlung zur Sachlichkeit  im Grundsatz recht:

Sachliche Kritik ist sinnvoller als plumpe Polemik. Dennoch ist festzustellen, dass schon bei Zensursula Polemik weder geschadet hat noch Sachlichkeit irgendetwas brachte.

Die Becks, Zensursulas und Rings wollen die Zensur in Deutschland, sie wollen die Infantilisierung der Gesellschaft und sie treiben die Erwachsenenbevormundung unter dem Vorwand des Jugendschutzes voran. Die nächste Säue, die dann seitens der Innenminister wieder durchs Dorf getrieben werden, dürften dann abwechselnd wieder die Computerspiele oder das Paintballverbot betreffen, ein, um die es so ruhig geworden ist.

Wieder einmal wird behauptet, es sei doch alles ganz anders beabsichtigt, gemeint und missverstanden. Wer aber die Entwicklung der letzten Jahre kennt, weiss um die Lügenhaftigkeit dieser Aussage, weiss um die tatsächlichen Absichten und weiss, was Step für Step für Step verändert werden soll und verändert wird.

Welchen sachlichen Grund gibt es überhaupt, den „modernsten“ Jugendmedienschutz Europas schon wieder zu reformieren? Keinen!

Aber gerade jene in allen Regierungsparteien, die ständig beteuern, aus Zensursula „gelernt“ zu haben, schweigen erstaunlich beredt: In der SPD, in der Union, bei den Grünen, bei der Linken und erst recht bei denenen, die sich selbst als „liberal“ bezeichnen, herrscht tiefe Stille. Sicher wird es dann NACH Verabschiedung des Staatsvertrages im Jahre 2011 sicher wieder zuhauf Parteitagsbeschlüsse nach dem Motto geben, „war doch alles nicht so gemeint.“

Nur: Wir glauben Euch schon jetzt nicht mehr!

Die Vorgehensweise zu diesem Jugendmedienschutzstaatsvertrag entlarvt die Sprüche von der neu gewonnenen Internetkompetenz der Altparteien als reine Show. Ihre Internetenqueten im Deutschen Bundestag sind allenfalls noch der zynische Gipfel dieser Provokation.

Wie bei Zensursula heisst es wieder einmal, die Kritiker wüssten, wovon sie redeten. Nein: Lieber Kurt Beck & Co., WIR wissen es!

Und deshalb muss der Protest weiter gehen. Am liebsten sachlich. Aber auch gerne zornig.

Hier der ursprüngliche Artikel mit Muster- Protestbrief UND neu (!) Landtagsadressen am Ende des Textes:

Mit dem Entwurf eines neuen „Jugendmedienschutz- Staatsvertrages (JMStV)“ soll ein neues Kapitel an Bevormundung und Zensur in Deutschland aufgeschlagen werden.

http://blog.odem.org/2010/01/12/Arbeitsentwurf-JMStV–Stand-2009-12-07.pdf

Mit dem an Provider gerichteten Verlangen nach zu überwachenden „Sendezeiten“ und „Altersfreigaben“ im Internet offenbart sich gleichzeitig ein Mass an Medieninkompetenz der Landesregierungen, das unter allen Fachleuten Sprachlosigkeit und Entsetzen auslöst. Die sachliche Ablehnung des Machwerks bringt eine Stellungnahme von 1&1, einem in Rheinland- Pfalz angesiedelten Unternehmen, auf den Punkt:

http://blog.1und1.de/2010/01/22/das_ende_der_freien_kommunikation_im_internet/

Mehrere „subtile“ Versuche meinerseits, die Sozialdemokraten zu einer Stellungnahme zu bewegen, sind bis jetzt gescheitert. Aus diesem Grunde habe ich auch an die Vorsitzenden der SPD im Bund und in Rheinland- Pfalz schreiben. An Gabriel deshalb, damit er nicht wie im Wahlkampf 2009 in ganz neuer Dimension und ein weiteres Mal so uninformiert wie ahnungslos zum „Zensursulaopfer“  wird. Und an Beck, weil er der für Medien und Jugendschutz federführende Ministerpräsident im Bundesrat ist und das Projekt mit aller Macht für die nächste Ministerpräsidentenkonferenz vorantreibt.

Die abstrusen Pläne waren bereits vor Jahren  von Becks ehemaliger Jugendministerin, Rose Götte, entwickelt worden. Die evangelistische Götte wurde damals mitsamt ihren Ideen allerdings rechtzeitig aufs Abstellgleis geschoben. Beck ist daher im Gegensatz zum unbedarften Gabriel seit Jahren voll informiert und kann sich somit nicht auf „Ahnungslosigkeit“ oder Nichtzuständigkeit berufen. Dennoch liegt der Unfug erneut auf den Tisch. Insofern reicht es wirklich , liebe Genossen…..

Verantwortlich ist Becks Mainzer Staatskanzlei  in Zusammenwirken mit dem Prof. Dr. Wolf- Dieter Ring, dessen Rücktritt SPD und Grüne übrigens noch im Mai letzten Jahres gefordert hatten. Ring ist zugleich Vorsitzender der „Kommission Jugendmedienschutz“ der Landesmedienanstalten und Chef der bayerischen Medienanstalt. Er ist für jede medienpolitische Sauerei zu haben, diente schon Franz- Josef Strauss als Medienreferent und hat mit dafür gesorgt, dass der bayerische Rundfunk so ist, wie er ist. Ganz nebenbei: Aus der KJM verlautet seit Jahren, Professor Ring könne „den Tauss gar nicht leiden“. Dies beruhte dann absolut auf Gegenseitigkeit 🙂

Dessen ungeachtet: Es geht hier nicht nur um die SPD oder die CSU. Dieser rot- schwarze Staatsvertrag müsste von allen Landesregierungen und von allen Landtagen gebilligt werden.

Insofern sind die Fragen nach Zustimmung oder Ablehnung natürlich auch an alle anderen Parteien und nicht nur an die Genossen zu richten. Jede einzelne Landesregierung, egal wie sie zusammengesetzt ist, kann einen Staatsvertrag verhindern.

Wie also verhalten sich die Grünen in Bremen, in Hamburg und im Saarland? Wie die Linke in Berlin und Brandenburg? Was sagt die FDP von Bayern über NRW bis Schleswig- Holstein? Und wo bleibt die Union, die doch nach eigener Darstellung aus dem Zensursula- Skandal gelernt haben will?

Die Forderung an alle Genannten kann nur kurz, klar und unmissverständlich sein:

Dieser Staatsvertragsentwurf muss vom Tisch:

Schnell, vollständig, ersatzlos und kompromisslos.

Ich wurde um ein „Muster“ für Protestschreiben gebeten. Gerne: Hier ist es kurz und knapp und kann natürlich beliebig ergänzt, verändert, höflicher (wie auch immer) werden.

Herzlichen Dank bei Zensurgegner für den hilfreichen Adressenlink ;))  http://www.hjroy.de/divers/Adressen_Landtage.pdf

An den Ministerpräsidenten, Fraktionsvorsitzende der Landtage,  Mitglieder des Landtages,  Mitglieder des Bundestages etc. (zuständig sind aber allein die Länder!)

Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV-E)

Sehr geehrte(r),

der oben genannte Entwurf löst nach der Debatte zum so genannten„Zugangserschwerungsgesetz“, bei dem Bundestag und Bundesrat  höchst unglücklich agierten und ohne Not gegen alle Warnungen das Vertrauen zehntausender technik- und netzaffiner Menschen verspielten, erneut und berechtigt Empörung aus.

Nicht nur die Wirtschaft, sondern vor allem die wieder einmal überhörte „Netzszene“ haben den Entwurf überzeugend kritisiert. Allein die Idee, das globale Internet mit deutschen „Sendezeiten“ und „Altersbegrenzungen“ regulieren zu wollen, ist derart kabarettistisch und abwegig, dass es eigentlich nur einen Rat und eine Forderung geben kann:

Die zuständigen Landespolitiker nehmen das überflüssige Machwerk vor der vorgesehenen Ministerpräsidentenkonferenz ohne Zuleitung an die Landtage schnell, vollständig, ersatzlos und kompromisslos vom Tisch, bevor weiterer Schaden entsteht. Nutzen Sie die Chance und stärken Sie statt dessen beispielsweise das Projekt „Netz für Kinder“! Es gibt keinen Anlass für diese weitere und zudem absurde Verschärfung beim Jugendmedienschutz.

Wie ist hierzu Ihre Position, die Ihrer Partei und die der Landesregierungen, an denen Ihre Partei beteiligt ist??

Mit freundlichen Grüßen


Internet….es soll enquetet werden….

(Überarbeitete Version des Ursprungartikels vom 13. 1. 2010)

Die Koalition will auf Initiative der Union beim Deutschen Bundestag eine  aus Abgeordneten und Sachverständigen bestehende Enquetekommission einrichten, die sich wieder einmal  mit den Folgen von Computerisierung im allgemeinen und dem Internet im Speziellen beschäftigen soll. Dies soll der lieben „Netzgemeinde“ suggerieren, man hätte aus Zensursula gelernt.

Antragstext http://carta.info/23027/internet-enquete-kommission-der-endgueltige-antragstext/

Antragsentwurf http://www.carta.info/docs/EnqueteAntrag.pdf

(„CDU: Bei Internet- Kompetenz aufholen“ http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,671781,00.html

So hört sich das Motto für diesen schwarz- gelben Aktivismus einigermassen hübsch an und lautet: „Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, um die Freiheit des Internet zu gewährleisten“.

Nach allen Erfahrungen von Kanther über Schily, Schäuble bis hin zu de Maizière kann  dies allerdings nur als Drohung empfunden werden.

Denn an Erkenntnissen dürfte es dem Deutschen Bundestag nicht mangeln. Man hat sich dort, mit Ausnahme weniger parteiübergreifender „Freaks“ im Unterausschuss „Neue Medien“, nur nie für das Thema interessiert. So gab es neben einer Reihe interessanter Gutachten des Bundestagsbüros für Technikfolgenabschätzung (TAB) zu Internet- Themen schon 1994 – 1998 die Enquete- Kommission „Neue Medien in Staat und Gesellschaft“, die eine Reihe durchaus wertvoller Berichte verfasste.

Einer dieser in Fachkreisen  viel beachteten Abschlussberichte mit dem schönen Titel „IT- Sicherheit und Datenschutz“ wurde bis heute (!) jedoch nicht im Innenausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert. Ein modernes Datenschutzgesetz oder das bereits damals geforderte Datenschutzaudit wurde bis heute von Schwarz-Rot verhindert.

Anderen Arbeiten wurde ein ähnliches Schicksal zuteil. Die damaligen und zum Teil noch höchst aktuellen Expertenmeinungen wurden weder vom Parlament geschweige denn von den Exekutiven zur Kenntnis genommen.

Nach meiner 15- jährigen parlamentarischen Erfahrung kann das Wörtchen  IGNORIEREN so auch getrost durch den Begriff ENQUETEN ersetzt werden.

„Tagen ohne Wirkung“

Der  beispielsweise seit 1998 mühsam vorangetriebene Versuch des Unterausschusses für Neue Medien, wenigstens EIN Gesetzgebungsverfahren via Internet zu begleiten, scheiterte stets am Widerstand sämtlicher Bundestagsausschüsse. Selbst Volker Beck von den Grünen meinte zu dieser möglichen basisdemokratischen Freundlichkeit des Parlaments, man wolle den Bürgern doch nichts vorgaukeln. Einziger positiver Erfolg aus dieser frustrierenden Debatte heraus war immerhin die Ermöglichung von ePetitionen, die vom Bundestag längere Zeit und in Ermangelung  eigener Kapazitäten  über einen schottischen Parlamentsserver abgewickelt werden mussten.

Ungeachtet dessen waren die Debatten in der damaligen Enquete noch aus heutiger Sicht ganz aktuell: So gab es in ihr (und darüber hinaus bis zum Zensursula- Gesetz) jahrelange heftige Auseinandersetzungen mit den so genannten „Jugendmedienschützern“ der Länder zum Thema „Jugendschutz“ im Internet.

Diese besondere Spezies von Bevormundern und Zensoren, voran stets die federführende  SPD- Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Seit‘ an Seit‘ mit dem bayerischen CSU- Medienpapst Professor Ring, verkämpften sich  immer  für „Sendezeiten im Internet“.

Immerhin hat es jetzt doch bis 2009 gedauert, bis die Länder diesen Schmarrn nun endgültig in ihren Staatsvertragsentwurf zum Jugendmedienschutz hineinschrieben und ihn somit zur allgemeinen Gesetzgebung erheben wollen (eine sehr gute fundierte Kritik hierzu gibt es von 1+1 http://blog.1und1.de/wp-content/uploads/2010/01/Stellungnahme_1und1_JMStV-E.pdf ).

Man bräuchte also auch hier keine neuen Expertenmeinungen, um den Landesregierungen wieder einmal zu erklären, dass es eben auf der Welt unterschiedliche Zeitzonen gibt, die eine Sendezeitbegrenzung im Internet ad absurdum führen. Irgendwo auf der Welt ist es eben mal 23.00 Uhr, um von dem  zum Internet „passenden“ Begriff „Sendezeiten“ ganz zu schweigen.

Erkenntnisse liegen also vor. Allein die Beispiele Daten- und Jugendmedienschutz  belegen deutlich, dass es keiner neuerlichen Erkenntnisse  bedarf, sondern deren rascher Umsetzung. Eine Enquete tagt und tagt und tagt dem gegenüber nur jahrelang- und in der Praxis leider oft ohne jede Wirkung auf aktuelle Politik!

„Wir brauchen jetzt Entscheidungen“

Deshalb ist eine Internet- Enquete für die Netzpolitik politisch sogar riskant, da sie sich ausdrücklich nicht mit laufenden oder bestehenden Gesetzgebungsvorhaben befassen darf. Denn ihre vor sich hin wabernde Arbeit zu irgendwelchen Internetthemen wird  in den nächsten 2 – 4 Jahren, außer  gelegentlich in nächtlichen Debatten zu Protokoll gegebenen Reden, weder Parlamente noch Exekutiven in deren Realpolitik erreichen.

Statt eines neuen Debattierzirkels brauchen wir netzpolitisch ein schnelles Erwachen in Deutschland und in der deutschen wie auch in der europäischen Politik. Wir brauchen rasche Entscheidungen von der Breitbandfrage bis  zum Urheberrecht in der digitalen Welt, beim Datenschutz, in der Zensurfrage oder beim „Open Access“. Schon bei letzterem Thema ist zu befürchten, dass Union und FDP wieder vorwiegend die Content- Industrie und nicht die Wissenschaft zu Wort kommen lassen wollen.

Alte Sicherheitsgesetze, Onlinedurchsuchungen, Zensursula, ELENA, SWIFT & Co. würden in dieser Enquete nach dem Antragsentwurf übrigens gleichfalls keine Rolle mehr spielen. Und mit neuen Gesetzgebungsvorhaben darf sich der um Sachverständige angereicherte Zirkel wie ausgeführt gar nicht erst befassen.

Sollte die neue Enquetekommission zur Vermeidung der mehrfachen Erfindung des Rades übrigens sinnvollerweise auf die Ergebnisse ihrer Vorgänger- Enquete zurückgreifen wollen, hätte sie gewissse Probleme. Eine Anfrage bei der Bundestagsverwaltung bliebe ergebnislos. Denn die mühsam erarbeiteten Drucksachen sind längst vergriffen.  Das gesamte Material aus vierjähriger und aus Steuermitteln hoch bezahlter Arbeit sollte nach Ende der Aufbewahrungsfrist sogar weggeworfen werden.

Auch dies  zeigt den historischen Respekt des Parlaments vor seinen eigenen Enqueten (Hinweis für „Historiker“: Das „BüroTauss“ hat dies verhindert und die  Akten des aufgelösten Enquete- Büros irgendwann an sich genommen).

Online verfügbar ist der Schlussbericht : http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/110/1311004.pdf

„Mitmachen oder bekämpfen?“

Doch schon wegen der von der Union benötigten Show wird diese Enquete kommen. Dass sie von Axel E. Fischer geleitet werden soll, beweist allerdings, dass es auch nicht um mehr als Show geht. Der Mann kann es schlicht nicht und ihm fehlt jegliche Kompetenz in wichtigen Internetfragen. Eine Suchanfrage bei heise belegt, dass es von ihm hierzu in der Vergangenheit keinerlei Arbeiten gegeben hat und er auf Abgeordnetenwatch auch noch nie eine Antwort auf Fragen gegeben hat. Dies gibt bereits einen Vorgeschmack auf die geplante Transparenz der Enquete- Arbeit.

Näheres zu Fischer gibt es hier auf tauss-gezwitscher https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=234 .

Für die umworbene „Netzgemeinde“ stellt sich dessen ungeachtet nun aber aktuell die brisante und strategische Frage, wie man mit dieser eigentlich überflüssigen schwarz- gelben PR- Veranstaltung umgehen soll?  Mitmachen oder bekämpfen, lautet die Frage.

Beides kommt wohl nicht in Betracht. Denn in ersterem Falle wäre man durch den ständigen Verweis auf die Arbeit der Enquete nichts als Alibi (Was wollt Ihr denn? Wir haben doch die Enquete?!?) und wäre so im ersten wie im zweiten Falle politikunfähig. Das ist also einmal mehr die berühmte Wahl zwischen Pest und Cholera.

Deshalb muss der Spiess umgedreht werden: Wir warten nicht auf die Arbeitsergebnisse dieser Kommission. Wir treiben sie!  Wir nutzen zudem eine von ihren Protagonisten nicht beabsichtigte Chance:

Sie bietet sich geradezu ideal als Testfall für „Liquid Democracy“ und die Bereitschaft des Deutschen Bundestages an, endlich aus eigenem Antrieb transparenter zu werden. Die Kommission könnte  zu einer öffentlichen Veranstaltung werden, in die von außen relevante Themen hineingetragen werden.

Interessant ist eine Enquete eigentlich nur durch deren in der Regel ordentliche personelle und finanzielle Ausstattung für wissenschaftliche Gutachten. Allein die Frage, welche Wissenschaftler berufen werden, wer zu Arbeiten mit welchen Themen beauftragt wird, kann eine gesellschaftlich und netzpolitisch weiterführende Diskussion auslösen und uns selbst viel Grundsatzarbeit in Foren und Hinterzimmern ersparen.

Doch vor allem: Man könnte nicht nur die Mitglieder der Kommission, sondern den gesamten Deutschen Bundestag, bis hin zu seinen regionalen Abgeordneten, mit der ständigen Frage „quälen“:

Wie haltet Sie es denn WIRKLICH mit Netzneutralität?

Und zwar nicht in China- sondern bei uns.


Links:

http://www.netzpolitik.org/2010/enquete-kommission-internet-und-digitale-gesellschaft/

Hinweis:

Aus Zeitgründen konnte ich diesen Artikel noch nicht mit weiteren umfangreicheren Erläuterungen und Dokumenten verlinken. Dies werde ich schrittweise im Verlauf der weiteren Diskussion nachholen.

SPD- Abschied vom Zugangserschwerungsgesetz?

In der unendlichen Geschichte des Zugangserschwerungsgesetzes will sich die SPD- Bundestagsfraktion nun von ihrer eigenen Gesetzgebung und Blamage verabschieden:

http://www.heise.de/ct/meldung/SPD-wendet-sich-gegen-Internet-Sperrgesetz-884257.html

„Schluss mit dem Gewürge“ forderte jetzt der neue stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Olaf Scholz,  der allerdings entgegen aller Warnungen und ungeachtet der Petition gegen „Zensursula“ das Gesetzgebungsverfahren innerhalb der Bundesregierung  schon im April des Jahres mit durchgewunken hatte.

Aber auch er hätte es besser wissen können: Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages formulierte „verfassungsrechtliche Bedenken“. Ein Expertengespräch des Unterausschusses Neue Medien zeigte schon im Spätherbst 2008 deutlich, dass mit Ausnahme  des Bundeskriminalamts (BKA) und von selbsternannten „Jugendschützern“ niemand das Vorhaben verteidigte.

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Experten-betrachten-geplante-Kinderporno-Sperrmassnahmen-als-wirkungslos-195362.html

Fanatische Befürworter des Gesetzes, allerdings ohne jegliche Nennung zutreffender Fakten, waren neben anderen Organisationen die von ihre Skandalen ablenkende UNICEF und der „Kinderschutzbund“. Diese Organisationen behaupteten unter anderem schlicht wahrheitswidrig und unter Berufung auf das BKA , „dass kinderpornografische Inhalte immer und überall verfügbar seien“ (Helga Kuhn, UNICEF Deutschland). Erstaunlich, dass diese Organisationen aber von den Kritikern des Vorhabens mit grosser Chuzpe stets „Sachlichkeit“ verlangten.

Die Familienpolitiker der SPD- Bundestagsfraktion machten sich diese „Argumente“ allerdings zu eigen. Kerstin Griese, damals Vorsitzende des Ausschusses Jugend und Familie, sagte mir unverblümt, „wir bedienen eben auch eine Szene, zum Beispiel UNICEF“.

http://www.unicef.de/index.php?id=5700

Professor Sieber vom Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht und andere Stimmen der Vernunft forderten dem gegenüber vor einem derartigen Gesetzgebungsverfahren gegen diese von Union, BKA, Presse und den genannten Organisationen angeheizte öffentliche Stimmung vergeblich einen umfassenden gesellschaftlichen, rechtlichen und technischen Dialog.

Missbrauchsopfer (MOGIS Verein) wandten sich ebenso gegen #Zensursula wie Datenschützer, der CCC, Wissenschaft und Wirtschaft (Providerverband ECO, der Verband Bitcom, die Gesellschaft für Informatik (GI) etc.). Auch sie fanden kein Gehör.

Mir gegenüber hatte die SPD- Fraktionsführung im internen Gespräch allerdings wenigstens ihr Wort gegeben, „dass man der Union nicht entgegenkommen wolle, sondern das Gesetz von der Agenda genommen werde und somit wohl in die Diskontinuität falle“ (Thomas Oppermann, 1. Fraktionsgeschäftsführer). Um zur Erreichung dieses Ziels die Union nicht zu „provozieren“ wurde ich sogar darum gebeten, nicht an der Anhörung zum Gesetzgebungsverfahren teilzunehmen.

Man kannte also die Probleme. Dennoch wurde auf dem SPD- Bundesparteitag am 14. Juni eine Debatte über das Zugangserschwerungsgesetz verhindert und die Beratung eines von Boehning, Mönikes und anderen eingebrachten Antrages gegen Zensursula von Franz Müntefering als „medial unerwünscht“ verhindert.

Gleichfalls aus Angst vor der Presse  forderte Peter Struck am 16. Juni die Fraktion auf, dem Vorhaben zuzustimmen. Zitat: „Bedenkt, was morgen in der Presse und in BILD zu lesen ist, wenn wir das heute ablehnen.“ 13 junge Bundestagskandidaten warnten in einem Schreiben vor dieser Argumentation: „Ihr tauscht die begrenzte Gefahr einer negativen „BILD“- Schlagzeile mit der unbegrenzten Gefahr des Verlustes der Glaubwürdigkeit bei einer ganzen Generation.“

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,666745,00.html

Dennoch ging man der Union blind auf den Leim. Der damalige Innenminister Schäuble äußerste im Oktober 2009 in entwaffnender Offenheit, dass das Gesetz auch deshalb entstanden sei, „um die Union gegenüber anderen Parteien abzusetzen.“ Er sprach zugleich von „handwerklichen Fehlern“.

Alle Bedenken, die Scholz heute gegen das Machwerk der Frau von der Leyen äußert, sind und waren richtig: Das Gesetz sei „populistisch“, die Internetsperren „ineffektiv, ungenau und ohne weiteres zu umgehen.“ So zumindest berichteten heise und SPON.

Trotz dieser, jetzt auch von Scholz vorgetragenen Argumente, haben am 18. Juni des Jahres  nur zwei (!) Bundestagsabgeordnete der SPD neben mir gegen das Gesetz gestimmt (Steffen Reiche und Wolfgang Wodarg). Alle anderen Fraktionsmitglieder wollten Gegenargumente allerdings nicht hören.

Deshalb hatte ich im Deutschen Bundestag am 18. Juni nochmals und ein letztes Mal als Mitglied der SPD- Bundestagsfraktion das Wort ergriffen:

http://www.youtube.com/watch?v=DwuZS8H4k2w

Nach dieser Rede schlug mir aus dieser Fraktion, der ich immerhin fast 15 Jahre angehört hatte, wie auch schon während der Diskussion in der Fraktionssitzung zwei Tage zuvor, offener Hass entgegen. Zwei Tage später zog ich aus diesen Vorgängen die Konsequenz und trat, auch aus Protest gegen die Missachtung der Petenten um Franziska Heine, aus der SPD aus und der Piratenpartei bei.

Nachtrag:

Die persönlich Verantwortlichen für das Desaster sind weiterhin SPD- Abgeordnete und mit Ausnahme von Franz Müntefering und Peter Struck, der nicht wieder für den Bundestag kandidierte, in ihren Ämtern verblieben. Namentlich nenne ich Thomas Oppermann als 1. Fraktionsgeschäftsführer, Martin Dörmann als „Verhandlungsführer“ gegenüber der Union, Christl Humme als stv. Fraktionsvorsitzende und Karen Marks als Sprecherin für Jugend und Familie. Alle drei „Abweichler“ gehören dem Deutschen Bundestag nicht mehr an.

Dass sich nun ausgerechnet Dörmann  gegen Zensursula ausspricht, ist nur noch mit dem Begriff Chuzpe zu umschreiben:

http://www.spd-fraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,50129,00.pdf

Was Herr Dörmann nun genau meint, bleibt aber auch nach Tagen noch unklar: „Löschen STATT sperren“ oder „Löschen vor Sperren“ ??? :

http://www.netzpolitik.org/2009/spd-heute-wieder-loeschen-vor-sperren/

Der klassische Kompromiss, den Dörmann sicherlich als Erfolg bei Verhandlungen mit der Union feiern würde, hiesse „Löschen UND sperren.“(Vorsicht: Ironie mit Wahrheitsgehalt 😉 )

Brief an Köhler

Ich habe jetzt in Sachen #Zensursula noch einmal den Bundespräsidenten angeschrieben. Mal sehen, ob er sich zu dieser Posse bereit erklärt: Er soll ein Gesetz unterschreiben, dass die Exekutive per Verwaltungsakt sofort für ein Jahr oder auch nicht außer Kraft setzen will. Wie verkommen darf Gesetzgebung eigentlich sein?