(Überarbeitete Version des Ursprungartikels vom 13. 1. 2010)
Die Koalition will auf Initiative der Union beim Deutschen Bundestag eine aus Abgeordneten und Sachverständigen bestehende Enquetekommission einrichten, die sich wieder einmal mit den Folgen von Computerisierung im allgemeinen und dem Internet im Speziellen beschäftigen soll. Dies soll der lieben „Netzgemeinde“ suggerieren, man hätte aus Zensursula gelernt.
Antragstext http://carta.info/23027/internet-enquete-kommission-der-endgueltige-antragstext/
Antragsentwurf http://www.carta.info/docs/EnqueteAntrag.pdf
(„CDU: Bei Internet- Kompetenz aufholen“ http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,671781,00.html
So hört sich das Motto für diesen schwarz- gelben Aktivismus einigermassen hübsch an und lautet: „Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, um die Freiheit des Internet zu gewährleisten“.
Nach allen Erfahrungen von Kanther über Schily, Schäuble bis hin zu de Maizière kann dies allerdings nur als Drohung empfunden werden.
Denn an Erkenntnissen dürfte es dem Deutschen Bundestag nicht mangeln. Man hat sich dort, mit Ausnahme weniger parteiübergreifender „Freaks“ im Unterausschuss „Neue Medien“, nur nie für das Thema interessiert. So gab es neben einer Reihe interessanter Gutachten des Bundestagsbüros für Technikfolgenabschätzung (TAB) zu Internet- Themen schon 1994 – 1998 die Enquete- Kommission „Neue Medien in Staat und Gesellschaft“, die eine Reihe durchaus wertvoller Berichte verfasste.
Einer dieser in Fachkreisen viel beachteten Abschlussberichte mit dem schönen Titel „IT- Sicherheit und Datenschutz“ wurde bis heute (!) jedoch nicht im Innenausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert. Ein modernes Datenschutzgesetz oder das bereits damals geforderte Datenschutzaudit wurde bis heute von Schwarz-Rot verhindert.
Anderen Arbeiten wurde ein ähnliches Schicksal zuteil. Die damaligen und zum Teil noch höchst aktuellen Expertenmeinungen wurden weder vom Parlament geschweige denn von den Exekutiven zur Kenntnis genommen.
Nach meiner 15- jährigen parlamentarischen Erfahrung kann das Wörtchen IGNORIEREN so auch getrost durch den Begriff ENQUETEN ersetzt werden.
„Tagen ohne Wirkung“
Der beispielsweise seit 1998 mühsam vorangetriebene Versuch des Unterausschusses für Neue Medien, wenigstens EIN Gesetzgebungsverfahren via Internet zu begleiten, scheiterte stets am Widerstand sämtlicher Bundestagsausschüsse. Selbst Volker Beck von den Grünen meinte zu dieser möglichen basisdemokratischen Freundlichkeit des Parlaments, man wolle den Bürgern doch nichts vorgaukeln. Einziger positiver Erfolg aus dieser frustrierenden Debatte heraus war immerhin die Ermöglichung von ePetitionen, die vom Bundestag längere Zeit und in Ermangelung eigener Kapazitäten über einen schottischen Parlamentsserver abgewickelt werden mussten.
Ungeachtet dessen waren die Debatten in der damaligen Enquete noch aus heutiger Sicht ganz aktuell: So gab es in ihr (und darüber hinaus bis zum Zensursula- Gesetz) jahrelange heftige Auseinandersetzungen mit den so genannten „Jugendmedienschützern“ der Länder zum Thema „Jugendschutz“ im Internet.
Diese besondere Spezies von Bevormundern und Zensoren, voran stets die federführende SPD- Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Seit‘ an Seit‘ mit dem bayerischen CSU- Medienpapst Professor Ring, verkämpften sich immer für „Sendezeiten im Internet“.
Immerhin hat es jetzt doch bis 2009 gedauert, bis die Länder diesen Schmarrn nun endgültig in ihren Staatsvertragsentwurf zum Jugendmedienschutz hineinschrieben und ihn somit zur allgemeinen Gesetzgebung erheben wollen (eine sehr gute fundierte Kritik hierzu gibt es von 1+1 http://blog.1und1.de/wp-content/uploads/2010/01/Stellungnahme_1und1_JMStV-E.pdf ).
Man bräuchte also auch hier keine neuen Expertenmeinungen, um den Landesregierungen wieder einmal zu erklären, dass es eben auf der Welt unterschiedliche Zeitzonen gibt, die eine Sendezeitbegrenzung im Internet ad absurdum führen. Irgendwo auf der Welt ist es eben mal 23.00 Uhr, um von dem zum Internet „passenden“ Begriff „Sendezeiten“ ganz zu schweigen.
Erkenntnisse liegen also vor. Allein die Beispiele Daten- und Jugendmedienschutz belegen deutlich, dass es keiner neuerlichen Erkenntnisse bedarf, sondern deren rascher Umsetzung. Eine Enquete tagt und tagt und tagt dem gegenüber nur jahrelang- und in der Praxis leider oft ohne jede Wirkung auf aktuelle Politik!
„Wir brauchen jetzt Entscheidungen“
Deshalb ist eine Internet- Enquete für die Netzpolitik politisch sogar riskant, da sie sich ausdrücklich nicht mit laufenden oder bestehenden Gesetzgebungsvorhaben befassen darf. Denn ihre vor sich hin wabernde Arbeit zu irgendwelchen Internetthemen wird in den nächsten 2 – 4 Jahren, außer gelegentlich in nächtlichen Debatten zu Protokoll gegebenen Reden, weder Parlamente noch Exekutiven in deren Realpolitik erreichen.
Statt eines neuen Debattierzirkels brauchen wir netzpolitisch ein schnelles Erwachen in Deutschland und in der deutschen wie auch in der europäischen Politik. Wir brauchen rasche Entscheidungen von der Breitbandfrage bis zum Urheberrecht in der digitalen Welt, beim Datenschutz, in der Zensurfrage oder beim „Open Access“. Schon bei letzterem Thema ist zu befürchten, dass Union und FDP wieder vorwiegend die Content- Industrie und nicht die Wissenschaft zu Wort kommen lassen wollen.
Alte Sicherheitsgesetze, Onlinedurchsuchungen, Zensursula, ELENA, SWIFT & Co. würden in dieser Enquete nach dem Antragsentwurf übrigens gleichfalls keine Rolle mehr spielen. Und mit neuen Gesetzgebungsvorhaben darf sich der um Sachverständige angereicherte Zirkel wie ausgeführt gar nicht erst befassen.
Sollte die neue Enquetekommission zur Vermeidung der mehrfachen Erfindung des Rades übrigens sinnvollerweise auf die Ergebnisse ihrer Vorgänger- Enquete zurückgreifen wollen, hätte sie gewissse Probleme. Eine Anfrage bei der Bundestagsverwaltung bliebe ergebnislos. Denn die mühsam erarbeiteten Drucksachen sind längst vergriffen. Das gesamte Material aus vierjähriger und aus Steuermitteln hoch bezahlter Arbeit sollte nach Ende der Aufbewahrungsfrist sogar weggeworfen werden.
Auch dies zeigt den historischen Respekt des Parlaments vor seinen eigenen Enqueten (Hinweis für „Historiker“: Das „BüroTauss“ hat dies verhindert und die Akten des aufgelösten Enquete- Büros irgendwann an sich genommen).
Online verfügbar ist der Schlussbericht : http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/110/1311004.pdf
„Mitmachen oder bekämpfen?“
Doch schon wegen der von der Union benötigten Show wird diese Enquete kommen. Dass sie von Axel E. Fischer geleitet werden soll, beweist allerdings, dass es auch nicht um mehr als Show geht. Der Mann kann es schlicht nicht und ihm fehlt jegliche Kompetenz in wichtigen Internetfragen. Eine Suchanfrage bei heise belegt, dass es von ihm hierzu in der Vergangenheit keinerlei Arbeiten gegeben hat und er auf Abgeordnetenwatch auch noch nie eine Antwort auf Fragen gegeben hat. Dies gibt bereits einen Vorgeschmack auf die geplante Transparenz der Enquete- Arbeit.
Näheres zu Fischer gibt es hier auf tauss-gezwitscher https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=234 .
Für die umworbene „Netzgemeinde“ stellt sich dessen ungeachtet nun aber aktuell die brisante und strategische Frage, wie man mit dieser eigentlich überflüssigen schwarz- gelben PR- Veranstaltung umgehen soll? Mitmachen oder bekämpfen, lautet die Frage.
Beides kommt wohl nicht in Betracht. Denn in ersterem Falle wäre man durch den ständigen Verweis auf die Arbeit der Enquete nichts als Alibi (Was wollt Ihr denn? Wir haben doch die Enquete?!?) und wäre so im ersten wie im zweiten Falle politikunfähig. Das ist also einmal mehr die berühmte Wahl zwischen Pest und Cholera.
Deshalb muss der Spiess umgedreht werden: Wir warten nicht auf die Arbeitsergebnisse dieser Kommission. Wir treiben sie! Wir nutzen zudem eine von ihren Protagonisten nicht beabsichtigte Chance:
Sie bietet sich geradezu ideal als Testfall für „Liquid Democracy“ und die Bereitschaft des Deutschen Bundestages an, endlich aus eigenem Antrieb transparenter zu werden. Die Kommission könnte zu einer öffentlichen Veranstaltung werden, in die von außen relevante Themen hineingetragen werden.
Interessant ist eine Enquete eigentlich nur durch deren in der Regel ordentliche personelle und finanzielle Ausstattung für wissenschaftliche Gutachten. Allein die Frage, welche Wissenschaftler berufen werden, wer zu Arbeiten mit welchen Themen beauftragt wird, kann eine gesellschaftlich und netzpolitisch weiterführende Diskussion auslösen und uns selbst viel Grundsatzarbeit in Foren und Hinterzimmern ersparen.
Doch vor allem: Man könnte nicht nur die Mitglieder der Kommission, sondern den gesamten Deutschen Bundestag, bis hin zu seinen regionalen Abgeordneten, mit der ständigen Frage „quälen“:
Wie haltet Sie es denn WIRKLICH mit Netzneutralität?
Und zwar nicht in China- sondern bei uns.
Links:
http://www.netzpolitik.org/2010/enquete-kommission-internet-und-digitale-gesellschaft/
Hinweis:
Aus Zeitgründen konnte ich diesen Artikel noch nicht mit weiteren umfangreicheren Erläuterungen und Dokumenten verlinken. Dies werde ich schrittweise im Verlauf der weiteren Diskussion nachholen.