(Aktualisiert am 10.2., 10.50 Uhr)
Ist der „Kurswechsel“ der Bundesregierung in Sachen „Zensursuala“ tatsächlich ein Triumph der „libertären Internetgemeinde“, wie SPIEGEL- Schreiber festzustellen glauben?
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,676669,00.html
Natürlich war es zunächst ein toller Erfolg der Petenten und der gesamten Bewegung, von Franziska Heine bis hin zum AK Zensur, dass die Berliner Sperrszene rund um Zensursula gründlich aufgemischt wurde. Sperren finden, entgegen der Planung, seit dem 1.8.2009 tatsächlich nicht statt.
Übrigens auch, weil in der handwerklichen Schludrigkeit des Zensursula- Gesetzgebungsverfahrens „Europa“ erst spät und dann mit falschem Text unterrichtet worden war. Und weil der Bundespräsident kein Gesetz unterschreiben wollte, das nach seiner Unterschrift per schwarz-gelbem Verwaltungsakt gleich wieder ausser Kraft gesetzt werden sollte. Diese Verlotterung der Gesetzgebung konnte Köhler nicht mitmachen. Sein Amt stellte daher erst einmal irritierte Nachfragen. Übrigens ebenso wie das Bundesverfassungsgericht, das sich beim Rechtsausschuss des Bundestages nach meiner Beschwerde bis Mitte Februar erst einmal Informationen über den zweifelhaften parlamentarischen Gang der Angelegenheit erbeten hat.
Aber was wurde darüber hinaus mehr erreicht? Und was steckt hinter dem „Löschgesetz“? Denn aufgemischt heisst nicht, dass man sich nicht unter neuen Vorzeichen neu sammeln könnte. Noch immer gibt es bei Schwarzgelb keinerlei Anstalten für ein Aufhebungsgesetz, das die sauberste Lösung wäre.
Fragen sind erlaubt. Da beim SPIEGEL bekanntlich mit Augstein der investigative Journalismus gleich mit zu Grabe getragen wurde und dort unten heftig rotiert, legen andere erfreulicherweise Finger in die Wunden. Zum Beispiel will Netzpolitik.org wissen, wie es denn nun so um die Sperrinfrastruktur bei den Providern bestellt sei?
http://www.netzpolitik.org/2010/zugangserschwerungsgesetz-2-0/
Die Antwort der Bundesregierung liefert der SPIEGEL gleich mit, ohne dass der perfide Inhalt die nichtlibertären Netzhelden in der SPON Redaktion auch nur ansatzweise zu kritischen Nachfragen einlädt:
Zitat: Man werde sich bis dahin (Anm. also bis zu einem Löschgesetz), “auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen”, heißt es in der Stellungnahme des Bundeskanzleramts. Und weiter: “Die damit gemachten Erfahrungen werden in die Gesetzesinitiative einfließen.”
Auf Deutsch: Zensursulas Zugangserschwerungsgesetz ist in Kraft, ohne in Kraft zu sein. Der „Triumph“ ist also fade. Und die Frage von Netzpolitik ist beantwortet: Die Zensurinfrastruktur wird weiter installiert. Mit dem Löschgesetz wird auf Zeit gespielt, um die „Internetgemeinde“ ruhig zu stellen.
Denn was wirklich läuft bestätigte der Sprecher des BKA kürzlich in einer Mail an mich:
„Festzuhalten ist, dass mit den anderen europäischen Staaten, die Access-Blocking betreiben, enge Abstimmungen auch bezogen auf die Generierung der Listen erfolgen werden, das Bundeskriminalamt aber ohne eigene Prüfung keinen Eintrag auf seiner Sperrliste vornehmen wird“.
Aha! Ohne Gesetz unterhält das BKA seine Sperrliste und arbeitet daran weiter. Das lässt das Versprechen der Bundesregierung als Drohung empfinden, dass die „gemachten Erfahrungen“, wohlgemerkt die Erfahrungen mit einem nicht rechtskräftigen Gesetz, in die Löschgesetzgebungsberatungen mit einfliessen werden.
Dies ermuntert das BKA natürlich, munter weiter zu machen. Man will
„aus diesen Hinweisen (sowie aus ausländischen Sperrlisten) zukünftig d.h. ab Wirkbetrieb des Access Blocking auf vertraglicher oder gesetzlicher Basis, die Sperrliste generieren“.
Man merkt auf: Gesetzliche ODER vertragliche Basis. Dem BKA ist es also gleichgültig, woran in Berlin augenzwinkernd in Richtung Wiesbaden gebastelt wird: Löschen vor Sperren, Sperren vor Löschen, Löschen statt Sperrren oder demnächst vielleicht Löschen und Sperren. Sperrliste hin oder her. Die Zensurinfrastruktur WIRD errichtet! Und im Zweifel wendet das BKA, ungeachtet des Berliner Show- Betriebs, noch immer seine durch Nötigung entstandenen Poviderverträge an- vodafone lässt lächelnd grüßen.
Denn die Infrastruktur wird später auch gut anderweitig verwendbar sein. Beispielsweise wenn die Provider künftig selbst mehr an transportierten Inhalten verdienen wollten oder beispielsweise der Jugendmedienschutzsstaatsvertrag (JMStV) die Sendezeiten im Internet vorschreibt. Am Rande bemerkt erklärt dies vielleicht ansatzweise, warum sich die Provider (mit der löblichen Ausnahme 1&1) aus der JMStV- Debatte sehr auffallend zurückhalten.
Da ich mir nicht vorwerfen lassen will, aber alles nur falsch zu verstehen, habe ich beim BKA noch einmal nachgefragt und meine Vermutungen positiv umgedreht. Schliesslich glaube ich auch noch irgendwie an das Gute bei unseren höchsten Kriminalern:
„Darf ich Ihre Antwort so verstehen, dass das BKA gegenwärtig, trotz einiger bestehender Verträge, noch keine Sperrlisten generiert, sondern das Ende des Gesetzgebungsverfahrens abwarten und auch von den Verträgen keinen Gebrauch machen wird?“
Das JA oder irgendeine sonstige Antwort steht trotz Erinnerung aus. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt 😉 Die Frage von Netzpolitik.org ist damit wohl klar beantwortet und meine Befürchtung untermauert. Die Herrschaften machen wie ausgeführt munter weiter.
Dies heisst:
Keine Entwarnung! Der Protest geht weiter!
Am besten in Verbindung mit der geplanten Zensursula- Anhörung des Petitionsausschusses 22. 2. Bis dahin sollte irgendjemand vielleicht noch SPON aufklären….. 🙂
Links zum Thema:
Hier eine weitere Stellungnahme des AK Zensur:
http://www.netzpolitik.org/2010/bundesregierung-will-zensursula-gesetz-aber-es-nicht-anwenden/
RA Stadler verweist bei Internet-Law wie der AK Zensur und die Grünen auf die Notwendigkeit eines „Aufhebungsgesetzes“ als einzig saubere Lösung. Ich teile diese Auffassung:
http://www.internet-law.de/2010/02/von-der-zugangserschwerung-zur-loschung.html
http://monomosblog.blogspot.com/2010/02/zensur-durch-die-hintertur.html
Ältere Dokumente:
Schreiben mit den Abläufen an die EU- Kommission, die allerdings trotz dieser Vorgänge Zensursula leider nicht stoppen wollte
http://www.tauss.de/index.php?nr=1298&menu=1
Auf die erbärmliche Rolle von vodafone ebenfalls ein Rückblick:
Lieber Herr Taus,
ein formaler Hinweis am Rande … ich finde, der orange/ocker-farbene Text liest sich als Fließtext (also ohne Fettstellung) sehr schlecht. Das ist mir bei den längeren Passagen hier erstmals richtig aufgefallen.
Danke und Gruß.
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@Jörg Tauss:
Du hast recht, dass man den Gegner nicht unterschätzen darf, aber man sollte sich auch darüber im klaren sein was seine Stärke aus macht. Geld, Personal und Bürokratie helfen beim (technischen) Aufbau einer Zensurinfrastruktur nicht. Der IT-Sicherheitsmarkt in Deutschland beginnt immer mehr zu boomen, nicht zuletzt da das BKA in Sachen IT-Sicherheit meist auf externes Know-How angewiesen ist.
Natürlich ist das Material in den einschlägigen Ländern strafbar, nur dass es in manchen Ländern eben nur sehr spät, wenn überhaupt gelöscht wird, während in anderen Ländern wie zum Beispiel der EU dies am liebsten sofort geschehen solle.
Den Aufbau einer Zensurinfrastruktur ist faktisch fast nicht zu verhindern. Behörden wie das BKA machen ihren Haushalt intern und müssen ihre Haushaltstitel der Öffentlichkeit nicht detailiert genug zeigen. Ich vermute es werden Firmen angeheuert die sich mit Zensur und technischer Überwachung auskennen, bzw. sich darauf spezialisiert haben. Die Ausschreibungen werden hier umgangen bzw. es wird nichts genaues spezifiziert und es wird auf irgendeine VS-Geschichte hingewiesen.
Wäre es nicht die Frage wie man dieser begegnen soll? Anstelle von dass die Zensur aufgebaut wird?
Ein kleines Beispiel: Jahrelang hatte man Angst der BND wäre im Stande Mobiltelefonate abzuhören, der BND behauptete dies sei nie der Fall ohne vorherige Genehmigung usw. Der BND hat auch immer behauptet dass er keine IMSI-Catcher besäße. Ein paar Jahre später taucht ein Dokument auf (15. Legislatur VS-NfD) es wird darin beschrieben dass der BND in Deutschland auch ohne richterliche Genehmigung abhört und die berühmten IMSI-Catcher in die Fahrzeuge serienmäßig eingebaut sind, weswegen man dann ja behaupten konnte keine IMSI-Catcher zu besitzen. (Bis heute benutzt der BND nach offiziellen Zahlen den IMSI-Catcher so gut wie nie – inoffiziell hört man permanent etwas anderes).
Gegen diese Infrastruktur der Zensur ist es machtlos etwas zu unternehmen. Man kann nur überlegen wie man diese wenn sie dann kommt außer Gefecht setzen kann… und da habe ich Ideen…
Eglatholion.de: „Blackjack“- nicht jeder Karnevalsgag ist gelungen 🙁 Ansonsten bin ich sehr für Realpolitik 😉
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Stefan: Ich bin da pointiert anderer Auffassung. Es ist nie gut, den Gegner zu unterschätzen! Im übrigen ist das meiste einschlägige Material in allen Ländern strafbar. Insofern kann man auch relativ leicht löschen, wie verschiedentlich bewiesen wurde. Es geht aber allein um den Aufbau von Zensurinfrastruktur in Europa.
Ich glaube dass die aktuelle Forderung von Zensursula und anderen nur der Versuch ist das Gesicht nicht zu verlieren. „Löschen statt Sperren“? Wage Worte im Bezug auf das Zugangserschwerungsgesetz waren bereits unmittelbar nach den Bundestagswahlen zu hören. Sowohl von Seiten der CDU als auch von SPD-Seite (siehe Interview mit Ehrmann MdB im Cicero???).
Aber die eigentliche Problematik der Politik ist ein Sieg der Bürger. Ich persönlich nehme das Engagement des BKAs nicht sehr ernst, da dem BKA neben politischen- noch vielmehr technische Grenzen gesetzt sind. (Im übrigen rekrutieren die Sicherheitsbehörden derzeit trotzdem ungemein viel an deutschen Universitäten, wie bei mir hier in Darmstadt).
Löschen, statt Sperren ist nett gemeint funktioniert aber nur dann wenn die meist kommerziellen Anbieter von KiPos auch so doof sind das Material innerhalb der EU bzw. Deutschlands zu veröffentlichen (Serverstandort). Meist halten hier aber Server, bzw. Rechenzentren in der Ukraine und anderen Ländern her, wo es zwar amüsant anzusehen wäre, aber dennoch nicht möglich ist für die Polizei Inhalte zu löschen.
Also „Löschen statt Sperren“ könnte auch gleichzeitig übersetzt werden mit: „Hoppsa, es gab und gibt widerstand, aber wie rudern wir jetzt zurück ohne das Gesicht zu verlieren? Hmmm, eine abstruse Forderung dürfte als Pseudo zumindest für Bild-Leser herhalten“.
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Jens: Auch die Pressepiraten des LV SH haben zwischenzeitlich einen Link auf tauss-gezwitscher erhalten. Wolfgang ist halt gelegentlich sehr schnell 😉
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Erzähl das bitte dem LV S.-H. – die feiern schon den Erfolg …
http://www.piratenpartei-sh.de/component/content/article/17-piratenpartei-schleswig-holstein/343-warum-nicht-gleich-so.html
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