Aserbaidschan sponsert Junge Union

Aktualisierung vom 4. 11. 12.: Laut Mitteilung der Jungen Union, wonach zunächst keine und dann doch Geschäftsbeziehungen eingeräumt wurden, ist der Sponsoringvertag mit dem aserbaidschanischen ASN nun gekündigt.

Hier nochmals der Vorgang:

In einem offenen Brief habe ich mich an den Vorsitzenden der CDU Baden- Württemberg, Thomas Strobl, gewandt und ihn aufgefordert, Sponsoringgelder aus Aserbaidschan zurück zu überweisen:

Sehr geehrter Herr Strobl,

mit Entsetzen habe ich den nachstehenden Bericht vom 26. 10. d. J. aus der Stuttgarter Zeitung zur Kenntnis genommen.
Danach wurde der Landestag der Jungen Union über ein Studentennetzwerk (ASN) aus Aserbaidschan (mit-)finanziert. Ebenfalls laut Stuttgarter Zeitung kann Ihr Esslinger CDU- Parteifreund und unser Ex-Kollege Otto Hauser, Honorarkonsul der Republik Aserbaidschan in Stuttgart, nichts „Verwerfliches“ an diesem Vorgang finden.
Ich finde das „Verwerfliche“ schon und darf dies, inclusive der obskuren Rolle des Herrn Hauser, auch kurz beleuchten.
Dabei hoffe ich, dass zwischen uns beiden die Tatsache unstrittig ist, dass es sich bei dem Staat Aserbaidschan um einen korrupten Polizeistaat handelt. Es kürzlich gab es dazu wieder Pressemeldungen:
Im Zusammenhang mit dem Eurovision Contest konnten sich auch weniger informierte Zeitgenossen ein gewisses Bild von der dortigen Lage machen. Dies könnte eigentlich auch für Ihre Nachwuchsorganisation gelten.
Dass es dessen ungeachtet zu diesem Ölland am kaspischen Meer gerade aus Baden-Württemberg gute Kontakte und eine lebhafte „Kaviar-Diplomatie“ gibt, ist auch im Interesse guter Wirtschaftsbeziehungen realpolitisch sicher nicht zu vermeiden.
Aus diesem Grunde habe ich mich auch sehr gefreut, als noch 2009 der damalige baden-württembergische Ministerpräsident und Ihr Parteifreund Oettinger bei einem Besuch in Baku/ Aserbaidschan nicht nur Wirtschaftsinteressen, sondern gegenüber Präsident Alijew junior in klarer Sprache (die ich Herrn Oettinger zugegebenermaßen nicht zugetraut hätte), auch Menschenrechtsfragen ansprach. Beide Herren werden sich sicher daran erinnern.
Herr Hauser fühlte sich anschließend allerdings bemüßigt, Oettinger zu konterkarieren, „Schadensbegrenzung“ herbeizuführen und hat auch vor Ort in Baku mehrfach öffentlich erklärt, das Land mache Fortschritte in der demokratischen Entwicklung. Dies ist bestenfalls Propaganda, die nicht nur bei entschiedenen Anhängern der Opposition auf pure Fassungslosigkeit stieß und unverändert stößt.
Ich selbst habe als verantwortliches Mitglied der südkaukasischen Parlamentariergruppe Aserbaidschan, wie auch für den Ausschuss Bildung und Forschung sowie Neue Medien, mehrfach bereist und noch heute gute Kontakte. Ein Journalist (Bayramli), der mich vor Jahren mal interviewte, sitzt im Knast. Die Menschenrechtslage und die Lage der „Bürgerrechte“ ist inakzeptabel. Journalisten und Oppositionelle werden bedroht und inhaftiert. Freie Medien gibt es nicht mehr.
Hierzu ist für Sie sicher der nachfolgende aktuelle Statusbericht von Amnesty International interessant.
Ergänzt werden kann dies von Reporter ohne Grenzen. Besonders tragisch ist weiterhin die Inhaftierung des genannten Journalisten Anar Bayramli und seines Kollegen Ramin Bayramov, um deren Freilassung sich unverändert auch die internationale Staatengemeinschaft bemüht. Das Europaratsmitglied Aserbaidschan ignoriert hier sogar den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Kommen wir nun zu den Studierenden:
Ich hatte in der Vergangenheit mehrfach aserbaidschanische Auslandsstudierende in den Deutschen Bundestag eingeladen. Auch ohne jeglichen Dolmetscher (natürlich waren welche anwesend) war zu spüren, welch verhärtetes Klima im Saal entstand, wenn der (absprachegemäß) von mir geladene Botschafter der Republik Aserbaidschan zu diesen Gesprächen hinzustieß. Man merkte, dass hier Gegner aufeinander treffen.
Auf der einen Seite saß der Vertreter eines für jeden Demokraten inakzeptablen Regimes, auf der anderen Seite gegenüber befanden sich hochintelligente junge Menschen, die sich nach europäischem Vorbild nach Freiheit und politischer Vorwärtsentwicklung für ihr Land sehnen. Um es klar zu sagen: Die große Mehrzahl dieser Studierenden stand und steht gerade wegen und nach ihrer Auslandserfahrungen im Widerstand zum Regime in Baku. Ich bin bereit, Ihnen auch Namen und Kontakte zu benennen.
Geleitet und organisiert wurde das Ganze damals von einem jungen Mann namens Emin „Milli“ Abdullayew, der mir auch bei der Organisation von Reisen vor Ort, auch als Ortskraft der Friedrich-Ebert-Stiftung, behilflich war. 2009 wurde Milli von Polizeispitzeln (dies wurde mir gegenüber selbst von der Polizei in Baku eingeräumt: „es waren UNSERE Leute“) in einem Restaurant zusammengeschlagen und anschließend wegen „Holliganismus“ nach Anzeigeerstattung durch die Schläger inhaftiert und erst 2010 wieder frei gelassen.
Im Anhang finden Sie dazu Artikel auf meinem Blog „tauss-gezwitscher“. Alle meine Angaben können Sie sich auch vom damaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Ihrem Parteifreund und unserem jahrelangen Bundestagskollegen Günter Nooke, bestätigen lassen.
Die Auslandsstudierenden wurden dann in den letzten Jahren über das besagte aserbaidschanische Studentennetzwerk, also des Sponsors der Jungen Union,  „auf Linie“ gebracht. Die Aussage Hausers, er könne in dem Vorgang „nichts Schlimmes“ entdecken, die Organisation sei „in jeder Hinsicht unbedenklich“, ist ungeheuerlich und in dem von mir beschriebenen Kontext schlicht falsch.
Auch hier ist die in der StZ wider gegebene Auffassung von Amnesty International völlig zutreffend: „Wenn es eine regierungskritische Organisation wäre, würden ihre Mitglieder vermutlich verfolgt werden“. Getrost kann man dabei das Wort „vermutlich“ streichen.
Darüber hinaus: ein offen regierungskritischer Student hätte heute keine Chance mehr, überhaupt noch ins Ausland zu kommen. Diesen Wechsel können Sie selbst verfolgen, wenn Sie sich bemühen, mit den Teilnehmern aus Aserbaidschan am parlamentarischen Austauschprogramm des Deutschen Bundestages in Kontakt zu kommen.
Um es kurz zu machen: Die Stuttgarter Zeitung spricht zu Recht von einer Affäre. Ich fordere Sie mit Ihrer CDU und die Junge Union Baden-Württemberg auf, das Geld umgehend zurück zu überweisen.
Für weitere (Hintergrund-)Informationen zum Thema Aserbaidschan und den obigen Ausführungen stehe ich Ihnen dessen ungeachtet bei Bedarf, auch gerne in Anwesenheit Ihres Herrn Hauser, zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg Tauss
Mitglied des Deutschen Bundestages 1994 – 2009
Anhang:
Stellungnahme des ASN zur Kritik im Mannheimer Morgen: azerbaijan-student.net/de
Ältere Artikel:
Adnan und Emin in Haft (2009) https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=79
Adnan und Emin frei (2010) https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=31