Auftakt beim 28C3
Die Sprache wird martialischer. Kam der letzte Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC) noch in „Peace“ daher, sieht man sich in diesem Jahr beim 28 C 3 hinter feindlichen Linien.
Eher nüchtern daher die Bestandsaufnahmen in Sachen Internet. Evgeny Morozow, zwischenzeitlich offensichtlich Dauergast in Berlin von re-publica bis zu diesem Kongress ratterte in seinem bekannten amerikanisch Schnellsprech die Staaten herunter, in denen sich die Überwachung des Netzes fest etabliert hat. Die Dauerkandidaten Iran und China sind natürlich darunter, aber auch die EU bekam ihr Fett ab. Von hier aus wird die Überwachungstechnologie in alle Teile der Welt exportiert, wo sie erst staatliche Repression ermöglicht. Was Morozow wohl noch nicht wusste: Die EU hat ja jetzt den bekannten Staatsmann Dr.ade.Guttenberg engagiert, um die Freiheit des Internet zu retten. In Kenntnis dieser Entwicklung wäre sein Vortrag sicher optimistischer ausgefallen. Bis dahin machen Regime dieser Welt von Repression aber freundlichst Gebrauch. Selbst in Libyen und Tunesien habe sich nach Morozows Angaben auf diesem Gebiet übrigens nach den Revolutionen nichts geändert. Dass die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und sonstiger Menschenrechte reichlich uninteressant ist belegen auch aktuelle us-amerikanische Waffenlieferungen an Bahrain und Saudi-Arabien im Wert von über 60 Milliarden US$. Frau Merkel steht mit ihren Panzerlieferungen so wenigstens nicht alleine da.
Dass es sich dessen ungeachtet lohnt, den Blick notwendigerweise nicht nur ins Ausland zu richten bewies die Journalistin Anne Roth, die im zweiten Hauptvortrag des ersten Tages „Sachsen dreht frei“ die Verhältnisse der Off- wie Onlineüberwachung im dortigen Freistaat thematisierte. Gerichtsverfahren gegen Nazis werden eingestellt, „Linke“ gerne überwacht und vor Gericht gestellt. An den sächsischen Gepflogenheiten extensiver Überwachung gibt es nach ihrer Darstellung keinerlei Änderung. Eher hätten Journalisten, welche die schwarzgelbsächsische Kumpanei mit Nazis thematisieren, auf „Druck von oben“ mit Beleidigungsklagen involvierter Polizisten zu rechnen.
Spass mit Schröder
Ohne Beleidigungsklagen ging es bislang beim größten Coup ab, den der CCC in diesem Jahr gelandet hat: Constanze Kurz, Frank Rieger und Ulf Buermeyer zerrissen gnadenlos den in Bayern entdeckten Staatstrojaner. Die Wanze erfüllt in keiner Weise Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Dies hält Strafverfolgungsbehörden und CDU/CSU/SPD nicht davon ab, unverdrossen weiterhin auf diesem Instrument zu beharren. Für schon gequälte Heiterkeit im Plenum sorgten deshalb die Grünen in Baden-Württemberg, die unter dem ersten grünen Ministerpräsidenten „natürlich“ nun ebenfalls für den Trojanereinsatz sind. Schließlich lauere das Böse, zumal in Baden-Württemberg, immer und überall. Immerhin kann man bei diesem traurigen Thema auch Spass haben, wenn man sich die Protagonisten der Union auf diesem Feld betrachtet (hier Ausschnitte aus der Aktuellen Stunde des Bundestags).
Vor allem die Ausführungen des Gatten unserer Familienministerin Schröder (Ole Schröder) begeisterten ob dessen rührender Inkompetenz die Kongressteilnehmer und führten zu spontanem Szenenapplaus. Ebenso die Ankündigung der Bundesregierung, nun ein Trojaner-Kompetenzzentrum schaffen zu wollen.
Apropos Kompetenz: Constanze Kurz lud ehemalige und aktive Trojaner-Entwickler der berühmt-berüchtigten Firma DigiTask ein, zu deren „Gewissenserleichterung“ weitere Infos und am liebsten den Quellcode unserer Staatswanze zu liefern.
Mit rund 4.000 Anwesenden sprengt der CCC angesichts dieser Themen, natürlich neben vielen technischen (Hacker-) Workshops und Vorträge einmal mehr die Kapazitäten des Kongresszentrums. Die jeweiligen Kartenkontingente waren innerhalb von Minuten im Vorverkauf im wahrsten Sinne des Wortes an den „Mann“ gegangen. Selten hat man auf Damentoiletten so viel Platz schwärmte eine aus NRW angereiste Funktionärin der Piratenpartei. Tatsächlich dominiert das männliche Kongresspublikum.
Auch immer mehr internationales Publikum ist anwesend. Bemerkenswert: Eine kurze Umfrage ergab, dass mindestens ein Drittel der Anwesenden zum ersten Male bei einem Chaos_Congress sind. An Nachwuchs für die Netzszene scheint somit kein Mangel zu herrschen. Auch wenn viele, die sogar auf Treppen und in den Gängen sitzen müssen, nur mal so aus Neugierde oder wie zwei Münchener aus beruflichem Interesse anreisten. Sie seien aber nicht vom BND, wird gleich hinzu gefügt. Ob das mit den feindlichen Linien zusammenhängt?
Übrigens: Vom Kongresss wird natürlich auch gestreamt: