„In einer digitalisierten und vernetzten Informationsgesellschaft muss der Zugang zur weltweiten Information für jedermann zu jeder Zeit von jedem Ort für Zwecke der Bildung und Wissenschaft sichergestellt werden“
(Kernaussage der von 6 Wissenschaftsorganisationen, 328 Fachgesellschaften und 5500 Einzelpersönlichkeiten unterzeichneten Göttinger Erklärung (2004)
Zwischen dieser an sich selbstverständlichen Vision und der Realität liegen Welten. Aktuell urteilte das Landgericht Stuttgart:
Eine Ausbildungsstätte müsse für die Online-Veröffentlichung aber ein Dateiformat mit „funktionierenden Schutzmechanismen“ wählen, das die Speicherung der eingescannten Werkteile auf den Computern der Lernenden unmöglich mache. Nähere Ausführungen zu einem solchen Format sind der Entscheidung nicht zu entnehmen. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass der Gesetzgeber lediglich das Ziel verfolgte, eine Nutzung zu ermöglichen, die der im analogen Raum vergleichbar sei.
Für die Weltfremdheit dieses Urteils muss man nun aber nicht das arme und redlich bemühte Landgericht sondern in der Tat den Gesetzgeber beschimpfen. Denn genau so ist. Dies war und ist der Wille des Gesetzgebers, wie ich in stundenlangen Verhandlungen mit einer großen Koalition aus Brigitte Zypries (SPD) und Dr. Günter Krings (CDU) beim 2. Korb der letzten Urheberrechtsreform erfahren musste.
Und dennoch geht der Bösenverein in Berufung. Denen reicht es nicht. Die letzte Schranke im Bereich der Bildung soll nach dem Willen der Verlage zu deren Gunsten auch noch fallen. Denn „nur ein ersatzloses Auslaufen des Paragrafen 52a Urheberrechtsgesetz könne die Ausbildung deutscher Studenten mit den modernsten und besten Lehrmaterialien sichern“.
Chuzpe pur. Stärker kann Wirklichkeit kaum mehr verdreht werden. Denn unsere in der Regel durch die öffentliche Hand finanzierte Bildungs- und Forschungslandschaft generiert erst die wissenschaftlichen Ergebnisse, deren Vermarktung dann durch einen wissenschaftlichen Verlag geschieht. Die Nutzungsrechte an den dort entstandenen Publikationen werden Wissenschaftlern, Studierenden, Lernednen, Lehrern oder Bibliotheken angeboten, die diese ihrerseits dann wieder aus öffentlichen oder privaten Mitteln Mitteln erwerben müssen.
Die Fachverlagsbranche wird national wie international von wenigen Großanbietern dominiert, deren Publikations- und Preispolitik aufgrund einer faktischen Monopolstellung zur Intransparenz neigt. Das finanzielle Risiko dieser Verlage im derzeitigen wissenschaftlichen Produktionssystem ist aufgrund des doppelten Zuflusses öffentlicher Gelder in den Publikationskreislauf sehr überschaubar.
Der Publikationsbereich von Elsevier wies im Jahr 2009 einen Profit von 1,1 Milliarden US-Dollar aus, während Universitätsbibliotheken mit drastischen Budgetkürzungen zu kämpfen hatten und sich teure Abonnements nicht mehr leisten können.
Diese für die Bibliotheken sehr ungünstige Entwicklung (siehe Zeitschriftenkrise) wird allerdings auch von anderen großen Verlagen vorangetrieben. Das Geschäft mit wissenschaftlichen Zeitschriften gilt als sehr lukrativ, Elsevier erzielt Umsatzrenditen von sagenhaften 30%. Davon träumen selbst Banken und Automobilkonzerne nicht.
Dennoch wird die Forderung nach einer Streichung von §52 a von Krings wie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gut abgestimmt seit Jahren so gebetsmühlenhaft wie dreist erhoben.
Offensichtlich geht dies zwischenzeitlich sogar einigen seiner Fraktionskollegen wie Peter Tauber auf den Geist, wie nachfolgende heise Meldung (Vertreter von CDU/CSU fordern faires Urheberrecht) zeigt
„Wir stellen heute zunehmend fest, dass ein Urheberrecht des vordigitalen Zeitalters nicht mehr auf die heutige Welt passt“, begründete Tauber seine Unterstützung für den Vorstoß. Gleichzeitig würden die „digitalen Staatsbürger“ mittlerweile von einschlägigen Fragen verstärkt berührt. Es sei daher dringend nötig, über eine Anpassung des Urheberrechts an die gesellschaftliche Wirklichkeit zu diskutieren.
Hut ab, Herr Tauber! Denn gefallen gefallen dürfte dies den entscheidenden schwarzen Urheberrechtsgestaltern wie Krings und Heveling wohl nicht. Diese beiden vom deutschen Volk bezahlten Börsenvereins- und GEMA Lobbyisten wehren sich mit der FDP schon ansatzweise und bislang gegen jegliche Neuüberlegung im Bereich des steinzeitlich anlogen Urheberrechts. Als kürzlich die Verbraucherzentralen auch nur zart die Forderung nach einem verbraucherfreundlichen Urheberrecht erhoben, winkte Krings prompt mit der Keule „Steuerfinanzierung“ der Verbraucherzentralen und forderte ein Denkverbot in Sachen Urheberrecht:
„Wenn die Verbraucherzentrale eine Neuausrichtung des Urheberrechts und eine Berücksichtigung der Nutzerbedürfnisse fordert, will sie die Rechte der Urheber einschränken. Dies ist verantwortungslos und kurzsichtig.“
Und Heveling reist auf Steuerzahlers Kosten schon mal gerne nach Cannes, wo er beim gemütlichen „Get together“ vor begeisterten GEMA – Vertretern und Gornys Musikmafia im Januar des Jahres Sprüche wie diese absonderte:
„Wo ich allerdings an die Grenzen meines Verständnisses stoße, ist, wenn es darum geht, unsere Gesellschafts- und Werteordnung quasi durch die Hintertür neu zu formieren und das, was in der realen Welt gilt, eben nicht in die digitale Welt zu übertragen.“
Starke Worte. Mit einem neuen Urheberrecht geht gleich die Gesellschafts- und Werteordnung schlechthin in die Binsen? Das war bislang noch nicht einmal Siegfried Kauder als weiterer dubioser Urheberrechtsfigur in der Union eingefallen.
Solchen Ansagen wollen Tauber und die wenigen besonnenen Unions-Leute nun also künftig ein Stopp-Schild entgegen halten. Da werden sie noch eine Menge zu tun haben. Aber wie wäre es eigentlich, wenn sich nicht nur Unions-Leute, sondern mal die klägliche Minderheit ALLER Urheberrechtsreformer im Deutschen Bundestag zusammentun?
Vielleicht können es alle nicht glauben. Oder waren da bei dir Drogen im Spiel? 😉 Aber das die Partei (SPD), die laut eigener Aussage die Netzpartei schlechthin ist, sowas nicht zuerst auf die Reihe bringt, ein Armutszeugnis.
Anmerkung tauss: War total nüchtern 😉 Es gibt wohl eine Initiative des MdB Rene Röspel für „fair use“ im Forschungsbereich. Aber nach meiner Kenntnis hat selbst diese (eigene!) Forderung erst durch mich die Enquetekommission erreicht. Hier geht es nicht „nur“ um Netz-, sondern schlicht auch Bildungspartei. Und da gilt vielen der Computer noch immer als das Ende aller Pädagogik. Die Verlagslobbyisten hatten bei der SPD keinen geringeren Rückhalt als in der Union. Mit dem damaligen CDU-Abgeordneten Müller musste ich mich gegen die Zypries, Manzewskis & Co im eigenen Lager verbünden. Der hatte es dafür mit Krings schwer genug. Der 3. Korb jetzt sollte eigentlich ein Bildungs- und Wissenschaftskorb werden. Nichts davon ist zu sehen, wiewohl sich wenigstens mit neuen Leuten im Rechtsausschuss seitens der SPD etwas verbessert haben soll. Aber die Regierung wurstelt unbehelligt.