DIN-Norm 5008 und ähnliches, was die Welt braucht

Hat sich jemand meiner Mitzwitscherer in letzter Zeit vergeblich um einen Job beworben und kam nicht zum Zuge? Dann hatte er sicher sein MS-Office nicht richtig eingestellt oder kein Lineal zur Hand.  Denn, ich komme später darauf zurück, auf Qualifikation kommt es nicht an!

Sondern auf die Einhaltung der DIN 5008. Danach ist auf den Abstand der linken Blattkante zum Absender von 24,1 Millimetern zu achten. Oder auf den von 49,5 Millimetern bei Aufzählungen und Einrückungen, den Zeilenabstand von oberer Blattkante zur 5. Zeile mit 16,9 Millimetern, auf 109,7 Millimeter von der rechten Blattkante etc. etc. Ergänzend hat das Empfängerfeld nach Auffassung unserer DIN- Verwalter nur 9 Zeilen, womit Durchschnittsmensch auch eigentlich zurecht kommen müsste.

Ich nicht normangepasster Tor finde es originell, das Datum meiner Briefe irgendwo ganz oben zu platzieren. Pech! Keine Chance für Tauss, einen Prakti,- Azubi- oder Vorstandsjob zu ergattern. Denn professionelle DIN-Bürokraten warnen davor, in dieser Form nicht der Norm zu entsprechen. Und Norm in Deutschland muss sein. Man kann es auch an einem simplen Vorgang wie der Zahnspange erklären.

Bei uns in der Nachbarschaft trugen vor Jahrzehnten ganze zwei bedauernswerte Kinder Zahnspangen, weil es für die beiden eben zahnmedizinisch notwendig war. Wahrscheinlich zur Vermeidung von Hänselei wird heute jedem Kind zweckmäßig zu einem millimetergenauen  Einheitsgebiss verholfen. Irgendwas wird mit dem Kiefer schon nicht stimmen und im Zweifel wird zu diesem Zweck auch gleich ein gesunder, wenngleich natürlich überflüssiger, Backenzahn mit entfernt. So hat der Zahnarzt ein paar Jahrzehnte später schon früh mehr Platz für seine Implantate.

Eigentlich schade, dass man auf unseren genau vorgeschriebenen biometrischen DIN- Rahmen- Passbildern  sein hingebogenes Einheitsgebiss gar nicht zeigen darf. So  liessen sich doch Terroristen im Scanner erkennen: Ein fremdländisches Gebiss aus einem Schurkenstaat könnte gleich in der Präventivdatei bei Interpol gespeichert werden.

Doch nicht nur unsere Einheitsgebissler- und Bewerber  entsprechen normgerecht der ursprünglich ganz anders zu verstehenden Forderung nach  deutscher Einheit.

Auch unsere Einheitsbildung führt dem Ziel der DIN- Republik Deutschland systematisch näher. So erklärte doch kürzlich ein  Gymnasiallehrer aus unserer Umgebung einigen erstaunten Eltern, dass er sich in seinem Unterricht allenfalls  „an den nach der Mitte ausgerichteten Lehrplan halten könne“ . Und wer für seinen Nachwuchs mehr wolle, möge doch bitte Elite- Sommerkurse buchen oder im anderen Falle eben für private Nachhilfe sorgen.

Wahrscheinlich kann dieser Lehrer nicht einmal was für seinen Einheitsuntericht, sondern bekam  ihn vorgeschrieben von jenen, die auch Bildung gerne nach dem Millimeterpapier ausrichten. 8,4 Millimeter vom oberen Rand Hauptschule, 19,4 vom rechten Rand darunter Gymnasium, bei 16,3 Rückstufung zur Realschule, wo der Einheitsunterricht der 7. Klasse leider nicht einmal mehr in Kilometern zu dem des Gymnasiums passen will,  was dann wieder, diesmal auf den Millimeter genau, zu einem Downgrade in die Hauptschule führt.

Zitat: Bevor ein Personalchef heute zu lesen beginnt, wird anhand der Optik, also der Einhaltung der DIN-Norm, eine Vorauswahl getroffen. Praktischerweise wird die mit MS- Word gleich angeboten. Störende, also der Norm widersprechende Faktoren, haben keine Chance. Daher der empfiehlt der DIN- Berater auf BEWERBEN.DE väterlich, daraus stammen die Zitate,  sich eben gleich an die 5008- Norm zu halten. Denn wer hier durchfällt, so kann man es wörtlich nachlesen, „kann über noch so gute Qualifikationen oder Referenzen verfügen- punkten kann er oder sie nicht mehr“.

Klartext: Nicht die Qualifikation entscheidet, sondern die Übernahme der DIN- Norm. Jetzt erahnt man, wie Angela Merkel ihr Kabinett zusammen gesetzt hat und wie Frau Köhler Ministerin wurde.

Apropos: Sollte ich mal wieder jemanden einstellen, fliegt jede DIN 5008- Bewerbung erstmal auf die Seite. Ich will wissen, ob jemand mehr kann als eine „professionelle Musterbewerbung nach DIN in MS- Word abzusetzen. Wahrscheinlich sitzt ein kreativer, interessanter Mensch vor mir.

8 Gedanken zu „DIN-Norm 5008 und ähnliches, was die Welt braucht

  1. Geisterkarle

    @cyberfox:
    Also Deutsch muss nicht unbedingt sein, aber wäre schon gut, wenn man ihm auf einer Sprache, die man als Arbeitgeber beherrscht (hier Deutschland meist Deutsch und Englisch) mitteilen kann, was er überhaupt schweissen soll. Sonst kommt da ja nur Müll raus!

    Ansonsten hab ich mich noch nie an DINs in normalen Schriftverkehr gehalten. Ich muss aber die Ankündigung, dass viele Firme Bewerbungen nur noch Digital entgegen nehmen, nun in neuem Licht sehen; da muss man kein Lineal ansetzen 😉

  2. karl

    Toll, und ich hab nur „Vorschau auf meinen nächsten Artikel……“ im Feedreader stehen. Bitte in Zukunft keine solchen Spielereien mehr, danke 🙂

  3. cyberfux

    Ich bin was die DIN 5008 angeht SOWOHL Pro als auch COntra:

    Dafür bin ich in Bereichen wo es in Deutschland leider immer noch auf die EInhaltung gewisser Formen angeht, also z.B. bei typischen „Bürojobs“: Eine Sekretärin (meinetwegen auch ein Sekretär) MUSS sowas können Punkt

    Dagegen bin ich in allen anderen Bereichen: Was interessiert mich denn, ob ein Schweißer auch nur ansandweise die deutsche Rechtschreibung – geschweige denn irgendwelche Schreibnormen – beherrscht? Schweissen soll der und gut ist.

  4. Roger Braun

    Nunja, ich freue mich dass sich die Leute bei DIN Gedanken darüber gemacht haben, wie man eine Bewerbung ordentlich formatiert und ich diese Empfehlungen darum in TeX oder Word schnell zur Verfügung habe. Ich habe nämlich keinerlei Ahnung von schönem Layout und bin immer froh wenn mir jemand diese Arbeit abnimmt. Wenn allerdings wirklich Leute meinen dass die Form der Bewerbung mehr zählt als die Qualifikationen… Das ist einfach albern.

  5. queue

    Sehr geehrter Herr Tauss,
    leider konnte ihre Kritik nicht berücksichtigt werden, da ihr elektronisch veröffentlichter Einwand auch nach mehrfachem Ausdruck nicht der zur Kenntnisnahme erforderlichen Gestaltung genügte.
    Wir verbleiben mit genormten Grüßen…
    /Ironie

    Wenn es nur das Layout wäre, ich habe kürzlich ein haarsträubendes Prozedere bei einer größeren Ausschreibung einer öffentlichen Verwaltung erlebt. Das Projekt wird in seinen Anforderungen seit Jahren (!) geplant, soll aber noch dieses Jahr fertig gestellt werden. Es wurde eine Neuentwicklung ausgeschrieben, die in der Zeit aber nicht mehr zu realisieren wäre. Also muss die Lösung bereits fertig sein, da es weltweit aber genau 16 potentielle Kunden gibt, hält sich die Auswahl dabei in Grenzen.
    Auftragsvergabe erfolgt im ersten Quartal dieses Jahres, es bleiben zwischen Auftragserteilung und Auslieferung schlanke 7 Monate, nachdem es 2 Jahre gedauert hat, herauszufinden, was überhaupt gefordert wird. Der Anforderungskatalog umfasst 200 Seiten, ohne die gesetzlichen Verfahrensregeln und Normen, die selbstverständlich gerne und zahlreich in Fußnoten genannt werden. Hinzu kam ein konkreter Fragenkatalog, 50 Seiten. Alle Unterlagen wurden den Interessenten der Ausschreibung einmalig in Papierform zugestellt, eine Zusendung digitaler Kopien war nicht möglich.
    Die Antwort summiert sich auf ca. 500 Seiten, die ebenfalls nur in Papierform und in 15facher (!!) Ausfertigung akzeptiert wird.
    Allein Drucken, Lochen und Heften der Unterlagen hat einen vollen Arbeitstag und einen mittleren Urwaldriesen verschlungen. Das Erörtern der Ergonomie, Barrierefreiheit und der Bedienkonzepte einer Software anhand briefmarkengroßer Bilder, die dann schwarz-weiß kopiert werden, war mir dabei eine besondere Freude.

    Das ausschreibende Bundesland hat natürlich einen Online-Vergabeservice, der hier geschickt umgangen und nicht genutzt wurde, ich finde dort jedenfalls nichts dazu. Das Anbringen von Treppengeländern wird online ausgeschrieben, ein umfassendes, individuelles IT-Verfahren für hunderte Benutzer auf totem Holz. Da digitale Zusendungen auch nicht akzeptiert wurden, werden die Unterlagen dort wohl auch nicht auftauchen. Ich hoffe jedenfalls, dass sie nicht das ganze Papier wieder aufdröseln und einscannen, ganz ausschließen will ich das jetzt nicht. 😉

    Damit ist die Ausschreibung schon jetzt so transparent wie die Toll-Collect-Verträge. Wäre es nicht angebracht, der Bürger könnte die Angebote der Bieter vergleichen und die Vergabeentscheidung so kontrollieren?
    Die Entscheidung ist sowieso zweifelhaft, da ich nicht annehme, dass nun Sachbearbeiter, die das Verfahren wirklich kennen, und IT-Verantwortliche für Wochen von ihrer Arbeit abgezogen werden, um diese Menge an Informationen zu sichten. Das ganze Papier landet also bei einem externen Berater auf dem Tisch, der weder Verfahren noch Technik kennt. Der hakt dann ab, ob es zu jeder Frage eine Antwort gibt, vergibt für die 5 Antworten, die er verstanden hat Punkte, multipliziert diese mit dem Gewicht der Zusendung und dividiert die Angebotssumme. Was soll er auch sonst tun?
    Vielleicht misst er mit einem Lineal die Zeilenabstände und Ränder nach.

    So etwas frustriert, weil es viel Arbeitszeit verschlingt und dann die sich bietenden Möglichkeiten nicht genutzt werden. Auch hier geht wieder Form über Inhalt.

  6. Sven

    Stellen Sie auch Berufskraftfahrer ein? :mrgreen:
    Kreativität, Eigenmeinung und vor allem eigener Stil sind heutzutage nicht gewünscht, solange eigene Züge enthalten sind. Habe gerade eben erst wieder so meine Erfahrungen sammeln dürfen….

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