Belarus auf dem „richtigen Weg?“

Keinen Staat der Erde habe ich, natürlich mit Ausnahme des unmittelbar benachbarten Auslands, wohl öfter bereist als Belarus. Ich weiß nicht wie oft. Ich mag die Menschen, ich mag deren Gastfreundschaft. Es wird dort viel, gerne und fett gegessen, getrunken und gesungen. Gerade in den langen Winternächten.

Weißrussische Winter können knüppelhart sein. Vor Jahren fuhr ich aus reiner Neugierde und Langeweile von meinem Hotel, ich war in der Nacht etwas einsam der einzige Gast, in die Minsker Innenstadt zurück, wo mit Planierraupen gegen die Schneemassen angekämpft wurde. So viel Schnee innerhalb einer Stadt hatte ich zuvor nie in meinem Leben gesehen. Leider hatte ich mir zu ungenau den Rückweg zum in einem Außenbezirk gelegenen Hotel gemerkt. Umgeben von Plattenbauten war es schwer zu finden und ich orientierte mich dummerweise lediglich am einzigen und leicht einprägsamen Hinweisschild CTON.

Damals wusste ich noch nicht, dass dies die russische Schreibweise für „Stop“ ist. Statt an einem Ortsschild hatte ich mich also am Verkehrszeichen Stopp orientiert, was die Rückkehr im menschenleeren, verschneiten und bitterkalten nächtlichen Minsk zu meiner Schlafstelle dann doch etwas langwierig gestaltete.

Daran wurde ich gestern erinnert, als ich die Bilder der Prügelpolizei des Präsidenten Lukaschenko sah. Denn exakt dort am Regierungsgebäude hatte ich meinen dummen Sprachirrtum bemerkt. Und dieser Platz wurde jetzt erneut Schauplatz brutalster Prügeleinsätze gegen die schwache Opposition und deren Repräsentanten. Diese protestierten erneut verzweifelt gegen das Ergebnis der „Präsidentschaftswahl.“

Für mich gibt es leider keinen Zweifel, dass der „letzte Diktator Europas“ die Wahl aber auch tatsächlich leider „gewonnen“ hat. Sicherlich aber nicht mit 79%. Um aber demokratische Veränderungen herbeizuführen, müsste die Opposition endlich einig sein. Sie ist es nicht. Sie hat zudem keine charismatischen Figuren, kein Programm und erst recht keine organisatorischen Strukturen.

Wo sollten die aber auch herkommen in einem Land, das jegliche Opposition unterdrückt, in dem es keinerlei freie Medien und schon gar keine Infrastrukturen gibt, um auch nur annähernd Wahlkämpfe nach unseren Vorstellungen führen zu können? In einem Staat, wo NGOs befürchten müssen, am nächsten Morgen ein leergeräumtes Büro vorzufinden? In der keine Druckerei Papier erhält, auf das Programme oder Plakate gedruckt werden können, die nicht regierungsfreundlich wären? Die Zeitung Mogilev Times wurde vor Jahren beispielsweise nicht verboten. Sie bekam eben „nur“ kein Papier mehr und so war Schluss mit dem kritischen Blatt. Natürlich könnte man Versammlungen organisieren. Nur wo? Es ist nicht verboten, einen Club oder einen Treffpunkt, beispielsweise für junge Leute aufzumachen. Aber die behördlichen Restriktionen sind so, dass dies niemand tut oder tun kann.

Ein Internetzugang muss beim Staat beantragt werden, was Herr de Maizière sicherlich für eine großartige Idee auch bei uns hielte. Selbstverständlich gibt es auch in Belarus breitbandige Internetanschlüsse. Die sind aber so teuer, dass sie sich kein weißrussischer Normalbürger leisten kann. 400.– Euro sind dort für die Durchschnittsbevölkerung bereits ein Spitzengehalt.

Jeder muß sich darum kümmern, sich und seine Familie irgendwie durchzuschlagen. Zu kaufen gibt es heute und im Gegensatz zum Beginn der 90iger Jahre alles. Aber zu Preisen, die für die Masse unerschwinglich sind. Überleben kann man am Besten mit einer eigenen Datscha mit Obst und etwas Gemüseanbau, einem im Herbst jeweils geschlachteten Schwein und einer Oma Babuschka, die sich um Kinder und die Organisation des Alltag kümmert, so lange die Eltern arbeiten. Wenn sie denn eine Arbeit oder eine Datscha besitzen. Auch hier hat das Reaktor-Unglück des Jahres 1986 im Nachbarland Ukraine viel zerstört. 80% des radiaktiven Fallouts, vor allem Cäsium, ging auf den ehemals fruchtbarsten Gebieten von Belarus nieder, die so für Jahrzehnte unbrauchbar wurden.

Ganze Dörfer und Landstriche wurden umgesiedelt. Dies alles wurde und wird von der Bevölkerung mit großer Schicksalsergebenheit hingenommen. Es war schon schlimmer….Und Strahlen tun wenigstens nicht weh. Man will irgendwie über die Runden kommen. Mit „oben“ legt man sich seit der Zeit der Leibherren oder des Stalinismus nicht an. Zivilgesellschaftliche Strukturen oder Verwaltungsgerichte zur Überprüfung staatlicher Willkür, beispielsweise nach Beschlagnahme des Autos durch korrupte Polizisten, sind unbekannt. All dies sind Voraussetzungen, die für demokratische Entwicklungen schlicht der denkbar schlechteste Nährboden sind.

Das Land ist in der Hand einer Nomenklatura, die schätzungsweise 100.000 Personen umfasst und wiederum auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen des Diktators abhängig ist. Ein junger Journalist, den ich vor Jahren kennen lernte, wurde plötzlich Fernsehdirektor. Stolz präsentierte er mir seine Wolga-Limousine mit den klassisch verdunkelten Heckscheiben. Nur Monate später fand er sich im Knast wieder. Warum er in Ungnade fiel, weiß niemand. Der Vorwurf lautete, wie immer in solchen Fällen, auf Bestechlichkeit.

Da Bestechung zur Bewältigung des Alltags in diesem Land aber wie der Fluss Beresina gehört, an dem übrigens Napoleons Truppen in den Sümpfen scheiterten, kann jeder, der „oben“ angekommen ist, mit einem derartigen Vorwurf überzogen und in seiner Existenz über Nacht vernichtet werden. Dies führt dazu, dass man sich noch enger Lukaschenko und seiner Clique andient.

„Bin ich ein Dikatator?….

Dieser Mann, ehemaliger Leiter einer Kolchose,  ist ein intellektuelles Nichts. Er spricht aber die Sprache des einfachen Volkes und nutzt dies demagogisch. Er selbst beherrscht noch nicht einmal die im Aussterben begriffene „Ursprache“ des Landes. Lukaschenkos Kennzeichen sind Bauernschläue, Rücksichtslosigkeit, Machthunger, Chuzpe und die Bereitschaft, über Leichen zu gehen. Ein früherer Innenminister des Landes wurde schon mal im Wald erschossen aufgefunden. Aufgeklärt wurde dieser Mord nie. Gegner verschwinden oder deren Familien haben Nachteile. Ich vergesse nie, wie er vor vielen Jahren bei der Begegnung mit Gila Altmann, einer von ihm angeschleimten netten blonden grünen Bundestagskollegin grinsend fragte, ob sie ihn denn für einen Diktator hielte? Sie antwortete so entwaffnend wie undiplomatisch: JA! Die Stimmung war dann etwas verdorben. Mehr deutsche Parlamentarier hat er wohl auch nicht mehr empfangen.

Vor Jahren liess Herr Präsident schon mal die westliche Botschaften beschlagnahmen. Proteste verhallten ungehört. Was auch sonst? Die Begründung waren Straßenbau- und Kanalisationsarbeiten. Kurzerhand wurden damals die Straßen zum und im Botschaftsviertel aufgerissen. An einen derartigen Affront können sich auch langgediente Diplomaten nicht erinnern. Doch es blieb damals bei einigen EU-Sanktionen und Reisebeschränkungen wie schon zuvor bei der Auflösung des 13. Parlaments, als Lukaschenko zu seinen Gunsten und seiner erneuten Wiederkandidatur vor Jahren die Verfassung änderte.

Prompt wurden solche Sanktionen dann seitens des Regimes aber mit Erschwerungen in der humanitären Hilfe beantwortet, die vom Ausland nach dem Tschernobyl-Unglück über Jahre und vor allem für Kinder geleistet wurde. Solche Auslandssanktionen treffen die Armen- nicht den Despoten und seinen Anhang.

Wirtschaftlich gesehen ist das Land als ehemalige verlängerte Werkbank der Sowjetunion und wegen der großen volkswirtschaftlichen Schäden durch Tschernobyl ein Konkursfall. Es erhält jedoch von Russlands Gnaden aber immer 95% der Mittel und der Energie, die das Land gerade so zum Überleben braucht. Russland hat ein vitales militärisches Interesse daran, nach Polen nicht auch noch Belarus nicht in Richtung Westen abdriften zu lassen. Nur so erklärt sich das Moskauer Engagement an seinem „Außenposten“ zur NATO. Und dass Putin & Co an demokratischen Entwicklungen in Weißrussland so wenig Interesse haben wie im eigenen Land, verwundert kaum. Und auch das macht die Stärke des Diktators aus. Diese Konstruktion sichert ihm bislang das Überleben und er kann seine Anhänger mit Jobs und Pfründen bei Laune halten.

Was muss passieren? Allein unsere Aufmerksamkeit hilft und wird im Land bei denen, die über die Grenzen zu schauen vermögen, dankbar registriert. Die westliche Staatengemeinschaft muss sich für jene engagieren, die jetzt verhaftet wurden. Jungen verfolgten Menschen muss auch Asyl und sollten Studienplätze angeboten werden. Es darf uns nicht gleichgültig sein, was dort passiert. Belarus liegt mitten in Europa. Wir können Leuchttürme der Hoffnung errichten, die auch in Minsk gesehen werden können: Drohend für das Regime und hoffnungsvoll von den Menschen.

Was wir nicht brauchen ist ein Geschwätz wie das des CDU-Bundestagsabgeordneten Schirmbeck, der laut SPON  kühn behauptete, Weißrussland „sei auf dem richtigen Weg“. Das ist eine pure Verhöhnung derer, die sich dort für Freiheit, Demokratie und „westliche Werte“ einsetzen.

Links:

Demonstranten versuchen, Regierungssitz zu stürmen

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,735553,00.html

Lukaschenkos Schläger ersticken Reformhoffnung

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,735591,00.html

Erst vor wenigen Tagen erhielt ich von Freunden aus der belarussischen Provinz einen Brief, der wie folgt endete:

„Wir hoffen alle, dass das kommende Jahr uns allen Frieden und Zuversicht mitbringt, dass unsere kleinen und großen Wünsche in Erfüllung gehen und dass wir alle gesund und munter bleiben.“ Sehr viel mehr Hoffnung gibt es derzeit leider nicht.


3 Gedanken zu „Belarus auf dem „richtigen Weg?“

  1. ToXSB

    Die Bilder und Berichte, die wir in den letzten Tagen aus Minsk sehen mussten, sind schon schwer verdaulich…
    Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mal Kontakt zu einer Studentin in dieser Region hatte… und nein… keine Betrügerin, die nur mein Geld wollte. Ich hatte viele Fragen… nicht nur über sie selbst, sondern auch über ihr Land… und damit muss es wohl zu tun haben, dass der Austausch ein jähes Ende fand… als ob jemand einen Schalter ausgeknipst hätte.
    Ich hab in diesen Tagen erstmals seit langer Zeit wieder an sie gedacht… und auch, wenn ich selbst ihren Namen inzwischen vergessen habe, frage ich mich doch, was damals passiert sein mag. Und habe – nicht erst seit der ‚Wahl‘ – übelste Befürchtungen, was ihr wohl zugestossen ist.
    In meiner noch angenehmsten Vorstellung ist schlicht ihr Mainboard durchgebrannt, aber realistischer wäre wohl die Vermutung, dass die dortige Staatsmacht ihre Kontakte in alle Welt unterbunden hat. Wie und auf welche Art und Weise… bleibt ein Geheimnis der Schergen des Despoten.

    Ich hoffe sehr, daß das Statement von Herrn Schirmbeck keine Nachahmer findet. Vielleicht sollte dieser Mann auch mal seinen Kopf röntgen lassen…

  2. Pingback: Kommentare zur Wahl in Belarus | Dropblog

  3. ebook news

    Ich glaube wir wissen gar nicht, wie gut es uns in Deutschland geht. Wenn man die Ereignisse in Minsk verfolgt, wo Weißrusslands Präsident Lukaschenko aus der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl als Sieger hervorgegangen ist. Gegen das Ergebnis regt sich massiver Widerstand. In Minsk demonstrieren zehntausende Menschen. Sie versuchten, ein Regierungsgebäude zu stürmen, wurden von der Polizei aber gestoppt. Lasst uns mal aufhören zu jammern und das Leben so geniessen, wie es ist.

    Anmerkung tauss: Wir sollten nur darauf achten, dass es bei uns auch so bleibt und nicht so wird. Die Sehnsucht nach dem „autoritäten Staat“ nimmt bei Vielen zu . Insofern ist Belarus ein warnendes Beispiel, wie es auch sein kann (so hinkend Vergleiche aufgrund unerschiedlichster historischer Entwicklungen auch sein mögen).

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