Schockgefroren

Der 11.11.2010 war Auftakt einer besonders närrischen Saison. Ausgerechnet der von den Grünen ins Amt gebrachte Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar stürmte zur Überraschung der gesamten Datenschutzszene in Sachen Vorratsdatenspeicherung (VDS) vor.

Beim vom baden-württembergischen Justizminister Goll (FDP) veranstalteten Triberger Symposium achtete er allerdings nicht auf seine Nebenleute- und geriet so voll ins Abseits. Statt die Chance zu nutzen, klar und deutlich den Marsch in den Präventionsstaat zu kritisieren, verirrte er sich dort im Schwarzwald auf der  Suche nach Kompromissen.

Bei der sich anschließenden netzpolitischen Tagung der Grünen in Berlin konnte man Schaars neuem Schmusekurs mit den Überwachungshardlinern nichts abgewinnen. Und das ist bereits die höflichste Formulierung. Mehrere Redner warfen ihm taktisches Ungeschick und unnötiges Vorpreschen zu einem völlig ungeeigneten Zeitraum vor.

Am deutlichsten wurde Ralf Bendrath, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht (Grüne):  Kurz vor Ende der Prüfung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in Brüssel sei Schaars Vorstoß schädlich und unpassend.

Doch der Angegriffene erwies sich als beratungsresistent und verteidigte wortreich seinen Vorschlag für eine „Mini-VDS“ von 14 Tagen statt bislang 6 Monaten und einer zusätzlichen „QuickFreeze“ Einführung, was als „VDSplus“ oderVDS lightvermutliches Datenschutzunwort des Jahres 2010 werden kann.

Schaar begab sich auf so dünnes Eis, dass er einbrechen musste. Denn der Zeitpunkt war nicht nur wegen Brüssel höchst ungeschickt gewählt. Offensichtlich hat sich der oberste Datenschützer von dem seit Wochen von Union, BKA, Teilen der Medien, Polizeigewerkschaften und Innenministerien veranstalteten Trommelfeuer mürbe machen lassen. Dies gibt er auch offen zu. Er hält eine politische Verhinderung der VDS weder in Deutschland noch in Europa nicht mehr für möglich. Dieses Brechen des Eises kann man befürchten. Aber dann darf man eben nicht aufs Eis gehen. Und erst recht nicht mit einem Heißluftföhn.

Zunächst hat sich Schaar als Anwalt gegen Vorratsspeicherung verbrannt. Wie will er in der weiteren Diskussion einem de Maiziere noch entgegen treten? Der Innenminister wird sich künftig süffisant auf den Bundesdatenschutzbeauftragten berufen können. Auch dieser sei ja FÜR die VDS und wolle nur noch über das WIE statt über das OB reden.

Aus der Abseitsfalle heraus entstand so noch gleich ein fulminantes Eigentor gegen den Datenschutz. Natürlich gab hat es den Dammbruch bereits mit der europäischen Richtlinie zur VDS. Da ist Schaar nicht zu widersprechen. Doch ist sein Vorschlag dann tatsächlich und wie von ihm behauptet der neue Damm? Eindeutig NEIN.

In der gesamten Diskussion wird zunächst die gängige Rechtslage übersehen. Ohne Wissen des Betroffenen können Ermittler jegliche Telekommunikation bei Verdacht auf kriminelle Handlungen vom Arzneimittelgesetz bis hin zum Waffengesetz überwachen und aufzeichnen (§ 100 a StPO). Selbstverständlich auch bei Bandendiebstahl, Hehlerei, Pornographie, Raub, Geldwäsche, Computerbetrug etc.etc. etc. Doch diese eigentlich schon sehr umfassenden Möglichkeiten genügen den Ermittlern nicht.

Deshalb bietet ihnen Schaar an, schnell und auf formlosen Zuruf Daten erstmal „einzufrieren“, damit man sie später noch herausverlangen kann. Auf diesem Pferd sitzt zwischenzeitlich auch die FDP. Dabei wird übersehen, dass man ja nur einfrieren kann, was es bereits gibt. Zu Deutsch: „Quick Freeze“ ohne Gefriergut, ohne Daten aus der Vergangenheit, also ohne VDS, geht nicht! Dies ignoriert vor allem die FDP mit ihrem Vorschlag.

Schaar sieht das Dilemma und schlägt daher und vermeintlich listig zusätzlich (!) eine „14-tägige-VDS“ vor. Dies aber wäre nicht nur nach berechtigter Auffassung von Providern schlimmer als die bisherige 90- Tage-Regelung.

Ein Blick in die USA mag dies veranschaulichen. Mit Quick Freeze können dort routinemäßige Löschungen von Daten mit richterlicher Weisung unterbunden werden. Es genügt ein Zuruf, dass dies geschieht. Selbst Amtsrichter bei uns werden sich erfahrungsgemäß wegen der eventuellen Folgen hüten, einem solchen Zuruf nach Aufforderung nicht zu folgen. Das aber erfreut das BKA und vor allem die Rechteindustrie. Sie brauchen dann einfach täglich tausende „verdaechtiger“ IPs  melden- und schon speichern die Provider mehr und und  länger als bisher. Pech gehabt, wenn Staatsanwälte oder Gerichte die Daten dann doch nicht anfordern und sie so jahrelang auf Rechnern der Provider verbleiben. Eine Begrenzung von Quick Freeze auf „wenige Daten“ bleibt nach allen Erfahrungen im Staate Deutschland bestenfalls ein Wunschtraum der FDP.

Im Klartext: Die heute vorhandene 90 Tage Speicherung mit anschliessender Löschung ohne Wenn und Aber ist besser als 14 Tage VDS und danach ZUSÄTZLICH bis Ultimo Daten einfrieren zu müssen.  Denn anders als in den USA darf bei uns ja nichts mehr gespeichert werden, was in den Firmen nicht ohnehin anfällt oder wozu sie gesetzlich gezwungen wären.

Schaar lenkt vom eigentlichen Problem ab

Um besser zu begreifen, worum es geht, muss daher kurz in die Vergangenheit geblickt werden: Früher wurden von den Providern „einfach so“ und auch bei Flatrates die IP-Adressen teilweise über viele Monate aufbewahrt. Der Löschaufwand mit der „Hand am Arm“ wurde als (zu) hoch angesehen.

Diese fragwürdige Praxis konnte von Schaar damals beseitigt werden. Genau dies  führte dann aber zum großen Geheul der Strafverfolger und später bekanntlich sogar zur VDS. Die vom Bundesverfassungsgericht verworfene deutsche Regelung ging allerdings über die Richtlinie und weit über das hinaus, was früher an IP- Adressen und Abrechnungsdaten angefallen war. Aus diesem Grunde eröffnet sich Peter Schaar mit seinem Vorstoß bestenfalls wieder eigenen politischen Handlungsspielraum.

Doch lenkt er damit leider „erfolgreich“ vom eigentlichen Problem ab: Und dieses Problem ist und bleibt die  verdachtslose Speicherung der Telekommunikationsdaten ALLER Bürger .

Wenn es also wieder eines politischen Kompromisses bedarf, dann bitte einen mit einer klaren Regelung der Speicherdauer und ohne jeden Schnick-Schnack, wie ihn das Bundesverfassungsgericht zu Recht als verfassungswidrig gerügt hatte. Und vor allem ohne zusätzliche Quick Freeze-Regelung oder gar Quick Freeze als vermeintliche Alternative zur VDS, wie es die FDP nun will!

Um es jedoch leicht abgewandelt und mit Brecht zu sagen:

Wer nicht kämpft und bereits schockgefroren ins Gefecht geht, hat schon verloren.

Wir sollten jetzt aber erst einmal kämpfen. Im Zweifel ohne Schaar. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat Partei für den Datenschutz zu sein- und nicht der Moderator von Kompromissen.

Weiterführende Links:

AK Vorrat:

http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/407/1/lang,de

Zum FDP-Papier und „Quick Freeze“ Jörg-Olaf Schäfers:

http://www.netzpolitik.org/2010/fdp-fraktion-konzeptpapier-zur-kriminalitatsbekampfung-im-internet/

2 interessante Gulli-Artikel zur Schar-Debatte:

http://www.gulli.com/news/schaar-jetzt-f-r-form-der-vorratsdatenspeicherung-2010-11-12

http://www.gulli.com/news/kniehoch-im-wasser-peter-schaar-zunehmend-in-seenot-kommentar-2010-11-17

4 Gedanken zu „Schockgefroren

  1. Thomas Brück

    „Quick Freeze“ suggeriert von der Wortbedeutung eigentlich nur, was deine Artikelüberschrift „Schockgefroren“ auf deutsch aussagt. Übertragen auf IT- Datenaustausch und Datenverarbeitung verstehe zumindest ich darunter, dass man auf „Zuruf“ Daten vorläufig aufbewahren muss. Wie das juristisch definiert ist, vermag ich nicht nachzuvollziehen, sofern es denn überhaupt definiert sein sollte. IT- technisch betrachtet würde dies die Möglichkeit eröffnen, anhand dieser Daten eine erfolgversprechendere Ermittlungstätigkeit zu generieren. Das ergibt einerseits nur Sinn, wenn Widerholungstäter am Werk wären oder andererseits, um ermittlungstechnisch wichtige Daten vor einer Löschung zu bewahren, da der offizielle Dienstweg zu lange dauern würde. Letzteres ist gewissermaßen dann unverständlich, wenn jemand verdächtige Aktionen bemerkt und an Provider oder andere Institutionen des datenverarbeitenden Gewerbes heranträgt. Eigentlich ist dann der Dienstanbieter sowieso dazu verpflichtet, diese Daten für Ermittlungszwecke aufzubewahren. Problematisch sehe ich nur, wie man sowas definiert.

    Dein Artikel, Jörg, bringt mal wieder einiges schriftlich auf den Punkt, was bei manchem unsortiert im Oberstübchen schlummert. Hervorragend ausgearbeitet – da es wunderbar ergänzend dazu passt, verlinke ich ausnahmsweise auf meinen eigenen Artikel mit ähnlichem Hintergrund: http://guedesweiler.wordpress.com/2010/11/17/warum-vorratsdatenspeicherung-uberflussig-ist/

    Gruß,
    tb

  2. bombjack

    Posting von mir auf heise.de zum Artikel „Schaar verteidigt Vorstoß für „Vorratsdatenspeicherung light“

    [….]
    @ Herrn Schaar und All….
    bombjack, bombjack@fastmail.ca (mehr als 1000 Beiträge seit 29.12.00)

    […] „Man kann nicht wegdiskutieren, dass das Internet als Tatmittel und Tatort eine zunehmende Rolle“ spiele, betonte er.
    […]

    Mal nach gefragt, welche ach so verfolgungswürdigen Delikte gibt es die einzig und alleine nur durch die Daten der VDS aufzuklären wären?
    Sprich Delikte die absolut keine anderen Spuren hinterlassen, als die Daten der VDS? Diejenigen die mir da einfallen halte ich nicht für so verfolgungswürdig, als dass man da präventiv eine VDS betreiben müsste….

    […]
    Wenn Strafverfolgung als legitimer Anspruch der Gesellschaft
    ermöglicht werden solle, müsse man fragen, „wie das funktionieren
    kann mit minimalen Ansprüchen“.
    […]

    Nur setzt wie das Wort „Strafverfolgung“ schon sagt, diese erst ein
    wenn eine Straftat begangen worden ist und nicht schon vorher.
    Ansonsten wie wäre es mit einer Vorratsbewegungsspeicherung (VBS)
    durch eine Black-Box im Kfz. oder die Vorratskameraspeicherung (VKS)
    durch verplombt Kameras in der Wohnung? Diese Maßnahmen würden doch
    bestimmt den legitimen Anspruch der Gesellschaft auf Strafverfolgung
    erleichtern, ganz abgesehen von dem Abschreckungseffekt den eben auch
    die VDS hat….
    Der andere Punkt ist die Festlegung, was Straftaten überhaupt
    sind…..ich denke da an so Sachen wie Copyright, BtmG und diverse
    Paragraphen des StgB und sorry auch wenn eine Gesellschaft einen
    legitimen Anspruch auf Verfolgung von (Straf)-Taten hat, dann heißt
    das noch lange nicht, dass jede (Straf)-Tat verfolgbar sein muss,
    denn jeder sollte sich fragen ob er in einer Gesellschaft leben
    möchte die es erlaubt bzw. in der es möglich ist jede (Straf)-Tat zu
    verfolgen….

    bombjack
    […]
    http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Herrn-Schaar-und-All/forum-189111/msg-19431516/read/

  3. Sabine Engelhardt

    @tauss: Nein, ich kann doch auch einfrieren, was nach einem bestimmten Zeitpunkt auf einem bestimmten Anschluß passiert!

    „Sichern Sie mir die Daten für den DSL-Anschluß von Herrn X, Y-Straße 23, 2342 Quakhausen, ab sofort bis einschließlich 10.12.2010.“ Wo ist das Problem?

    Gruß, Frosch

    Anmerkung tauss: Wir reden aneinander vorbei. Genau dies ist bei Tatverdacht heute schon geltende Rechtslage. Insofern keinerlei – Problem. Hat aber auch nichts mit Quick Freeze zu tun. Schau dir einfach einmal § 100a STPO an: http://dejure.org/gesetze/StPO/100a.html

  4. Sabine Engelhardt

    Ich halte eine bestimmte Form von Quick Freeze für akzeptabel, allerdings stimme ich Dir darin zu, daß immer die Gefahr einer Erweiterung und damit des Mißbrauchs besteht:

    – nur, wenn die Polizei einem geplanten Kapitalverbrechen auf der Spur ist (einer „Terrorgruppe“ oder ähnlichem);

    – wenn keine andere Möglichkeit besteht, an die begehrten Informationen heranzukommen (dies ist nachzuweisen und darf nicht zum Standard-Argument werden);

    – mit Unterschrift eines Richters

    – und das Ganze natürlich zeitlich begrenzt.

    Wenn eine kriminelle Gruppe über längere Zeit bereits beobachtet wird, kennt man ja auch die Adressen und die Anschlüsse und kann sie entsprechend überwachen. Bei Abhöraktionen via Telefon läuft das doch genauso, da muß auch vorher nichts gespeichert sein.

    Das Problem bei uns ist der nicht mehr wirklich vorhandene Richtervorbehalt. Amtsrichter unterschreiben (wohl von wenigen Ausnahmen abgesehen) offenbar mittlerweile jeden Scheiß.

    Hätten wir einen echten Rechtsstaat, dann wäre gegen die von mir benannte Form des QF vermutlich nicht viel zu sagen. Tatsächlich war Quick Freeze bereits ein Argument der VDS-Gegner, auch meines. Von einer unbegrenzten Dauer war dabei allerdings nie die Rede gewesen.

    Gruß, Frosch

    Anmerkung tauss: Für ein geplantes Verbrechen reicht 100a StPO völlig aus. Und nochmals: Du kannst nur Daten einfrieren, die Du vorher gespeichert hast. Insofern funktioniert das auch in den USA, weil es dort keine Löschvorschriften gibt und alles und jedes gespeichert ist. Bei uns müsste man diese Speicherung erst zulassen. Das wäre dann die VDS. Ihr seid irgendwie auf dem verkehrten Trip 😉

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