Ich habe kein Auto mehr. Beziehungsweise ich habe ein Auto, aber meine Schwägerin muss es benutzen. Anders ist ihr Weg zur Arbeit während der Bahnstreiks nicht zu machen. Also fährt meine Schwägerin mit meinem Auto und ich bin zu Fuß oder eben mit meinem Fahrrad unterwegs.
Gesund ist dieser Bahnstreik also auch noch. Danke, liebe GDL. Ansonsten muss ich Herrn Weselsky aber auch noch zustimmen. Streik ist ein Grundrecht. Wenn der Vorstand eines staatlichen Unternehmens auf den Gesetzgeber hofft, unzufriedene Mitarbeiter zur Kapitulation zu bringen, stimmt etwas nicht. Es stimmt auch etwas nicht, wenn dieser Vorstand aus Gründen der Prinzipienreiterei Millionenschäden hinnimmt. Denn tatsächlich sind unterschiedliche Tarifverträge in einem Unternehmen keine Seltenheit. Im Gegenteil.
Schauen wir nur mal auf die Metallindustrie. An einem Fließband arbeiten heutzutage festangestellte Mitarbeiter der Daimlers, BMW & Co. Und daneben arbeiten „Selbstständige“ mit Werkverträgen und Leiharbeitnehmer unterschiedlichster Tarifzugehörigkeit. Das ist für die IG Metall nicht erfreulich, aber Realität. Diese Realität wird auch bei der Deutschen Bahn nicht deshalb verhindert werden, weil man sich als Unternehmen einträchtig mit der Hausgewerkschaft EVG, die den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Bahn stellt, so bequem arrangiert hat.
Zugegeben: Diese bequeme Gemeinsamkeit stört Herr Weselsky. Dieser Böse! Aber er hat dennoch Recht. Er macht als Verhandlungsführer das, was seine Mitglieder von ihm zu Recht als zahlende „Kunden“ einer Gewerkschaft verlangen: Das für sie Optimale herauszuholen. Und im Gegensatz zu den genannten Daimlers & Co soll es dabei nicht in Form von Lohndumping nach unten, sondern für Beschäftigte auch mal nach oben gehen. Chapeau!
Gewinnt Herr Weselsky, wäre das natürlich eine neue Realität in der deutschen Wirtschaft. Konkurrierende Tarifverträge mit Verbesserungen statt Verschlechterungen für die Belegschaft wären angesichts der Lohnentwicklung in den letzten Jahren ein Novum. Auch dies dürfte wohl ein Grund dafür sein, dass der GDL- Vorsitzende als böser Bube auch medial fast schon putinisiert wird.
Dabei arbeitet er in fast schon neoliberaler Form wettbewerbsorientiert. Nur wenn er seinen Mitgliedern Erfolg bietet, bekommt er neue Mitglieder. Und nur so könnte er irgendwann stärker als die starke EVG werden. Wettbewerb unter Gewerkschaftern mag zwar neu sein. Aber „systemfeindlich“ ist dieser Wettbewerb nun wirklich nicht. Und dieser darf schon gar kein Grund für den Gesetzgeber sein, ihn, wie beabsichtigt gesetzgeberisch zu unterbinden.
Auch hier liegt Herr Weselsky richtig: Die Bemühungen von Frau Nahles, einer Sozialdemokratin (sic!), dürften schlicht grundgesetzwidrig sein und vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Grundrechte sind eben kein Abreißkalender einer großen Koalition, selbst wenn man Bahnvorsteher Grube und seine sozialdemokratische EVG als noch so nett & lieb empfindet. Grundrechte haben sich eben gerade in Zeiten von Konflikten und nicht in Schönwetterzeiten zu bewähren.
Kurz: Wenn ich Fahrrad fahre kann ich dies im Gefühl tun, auch noch etwas für unser Grundgesetz zu tun. Dennoch freue ich mich, wenn meine Schwägerin bald wieder Bahn fährt und ich mein Auto zurückbekomme. Ist bequemer. Aber ein Streik, der für alle Beteiligten bequem ist, kann ernsthaft nicht als Streik betrachtet werden.
Zumindest keiner, der auf die jeweilige andere Seite Druck ausübt und zu Ergebnissen zwingt. Also, Herr Grube: Geben Sie Ihre verschleppende Taktiererei auf und machen Sie der GDL endlich ein seriöses Angebot. Nur daran fehlt’s in diesem Konflikt.
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Und Herr Weselsky ist nicht der Kopf des Fisches Deutsche Bahn.