Archiv für den Monat: Dezember 2013

Trauerspiel Informationsfreiheitsgesetz in BaWü

Auf weite Flur nichts in Sicht. Angekündigt war es für das Frühjahr 2012. Dann für das Frühjahr 2013. Dann für Herbst 2013. Und jetzt soll es irgendwann 2014 kommen: Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) für Baden- Württemberg.

Allein die Zeitverzögerung ist ärgerlich genug. Noch ärgerlicher: Grünrot weigert sich beharrlich, ausgerechnet das Informationsfreiheitsgesetz transparent zu erarbeiten. Und dies im völligen Widerspruch zu sonstiger grünroter Vollmundigkeit im Ländle:

Eine neue Kultur des Zuhörens sollte es geben. Die Beteiligung der Bürger an Gesetzgebungsverfahren. Pustekuchen. Das Ärgernis wurde im November letzten Jahres von Gulli aufgegriffen. Getan hat sich seit dieser Zeit nichts.

Schlichte Chuzpe ist nun aber die aktuelle Begründung des baden- württembergischen  Innenministers Reinhold Gall, die der als Ausrede für seine Verhinderungsstrategie laut Heise liefert:

 „…Das Gesetz ist deshalb in der Priorität nachgeordnet, weil wir die Evaluation auf Bundesebene und die ersten Erfahrungen der anderen Bundesländer mit so einem Gesetz abwarten wollen….“

Hätte er sich nur mal selbst erkundigt. Die „ersten Erfahrungen“ der anderen Bundesländer datieren aus 1998 (!) Brandenburg, Berlin (1999), Schleswig- Holstein (2000), NRW (2001), Rheinland-Pfalz (2002). Gall müsste also nur über eine Rheinbrücke fahren, um „erste Erfahrungen“ erfragen zu können. Dort findet er auch die Verwaltungsuni Speyer, die das Bundes- IFG längst evaluiert hat und ihre Ergebnisse im Mai 2012 vorlegte. Im Herbst 2012 fand dazu eine Anhörung im Deutschen Bundestag statt.

Schweden hat übrigens seit 1766 ein Informationsfreiheitsgesetz. Die USA kennen den „Freedom of Information Act“ seit 1967 mit einem Vorläufer aus Wisconsin 1849. Und so weiter und so weiter.

Nein: Die Verschleppungstaktik und mangelnde Dialogbereitschaft des Ministers, bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens, verheißt nichts Gutes. Ebenso nicht die schlicht faule Ausrede, auf Erfahrungen „warten zu wollen“. Offensichtlich hat Grünrot wohl eher nicht vor, in Sachen baden- württembergischer Transparenz und Informationsfreiheit einen neuen Meilenstein zu setzen.

Erfreulich wenigstens, dass der neue grüne Landesvorsitzende Hildenbrand nun das Thema mosernd aufgreift. Endlich, möchte man rufen. Doch auch dessen Landtagsfraktion schaut Galls Treiben lustlos zu. Zu lange schon, um in diesen Gesetzentwurf irgendeine Hoffnung zu setzen.

Dabei mangelt es nicht an Vorlagen: Netzwerk Recherche legte für BaWü einen ausgetüftelten Gesetzentwurf vor, der die Erfahrungen mit dem hamburgischen „Transparenzgesetz“ aufgreift.

Das Innenministerium in Stuttgart müsste also lediglich abschreiben. Und die Grünen hätten endlich selbst Grund mit dem Dialog zu beginnen, statt sich weiter hinter dem Koalitionspartner zu verstecken. Doch hierzu wurden nicht einmal Anfragen beantwortet.

Allerdings unterscheiden sie sich in der dialogfreien Politik 1.0 wenigstens nicht von den Piraten im Südweststaat. Die haben einen grottenschlechten Entwurf zu einem Landes- IFG vorgelegt und sich fortan gleichfalls geweigert, darüber mit gesellschaftlichen Gruppen zu diskutieren. Wahrscheinlich wollen sich die verbliebenen Hobbypolitiker aus der Splitterpartei nicht blamieren.

Unter Verschluss: TTIP

Wer wissen will, welche Behörden europaweit dafür zuständig sind, dass wir beispielsweise über das EU- USA- Freihandelsabkommen (TTIP), wie damals zu ACTA, nicht informiert werden (dürfen), findet dies in Anlage C des nachfolgenden langen Textes.

Wer wissen will, warum selbst von uns gewählte Abgeordnete kein Recht haben, an Informationen zu TTIP zu kommen, findet dies im gesamten Text des nachfolgenden Ratsbeschlusses.

Wer wissen will, warum wir Whistleblower brauchen, ebenso.

Wer wissen will, was an den TTIP- Verhandlungen so geheim ist, dass schon das Mandat zu Verhandlungen, also deren Zielsetzung,  zur Verschlusssache wird, sollte sich vertrauensvoll an die EU oder unsere Bundesregierung sowie die Verhandlungspartner zur Großen Koalition aus Union und SPD wenden.

Bevor ich es es vergesse: ACTA haben wir verhindert, indem wir auf die Straße gingen. TTIP ist auch zu verhindern. Trotz USA, EU, CDU/ CSU, SPD und alledem……..

 

Hier geht’s zum EU- Dokument  32011D0292

2011/292/EU: Beschluss des Rates vom 31. März 2011 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen

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„EU restricted“: Das Freihandelsabkommen

„…. so werden wir beispielsweise den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA vorantreiben…“

Das ist einer der wenigen konkreten Sätze im Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen Union und SPD zum Thema „Starkes Europa“ auf Seite 162, zu dem die Mitglieder der SPD natürlich auch abstimmen und JA sagen sollen.

Nur: Selbst (Bundestags-)Abgeordnete, die an diesen Koalitions“verhandlungen“ beteiligt waren, kennen den Inhalt dessen nicht, WAS  da denn so nebenbei an neoliberaler Marktderegulierung vorangetrieben werden soll. Geschweige denn die Mitglieder der SPD, sofern diese nicht zufällig selbst  in der Exekutive tätig sind. Auch die sonstigen SPD- Abgeordneten, die dem Koalitionsvertrag doch so freudig zustimmten, kennen ihn „selbstverständlich“ nicht. Hauptsache, das ihnen Unbekannte wird vorangetrieben.

Dieser unglaubliche Vorgang ergibt sich aus der Antwort zu einer Anfrage, welche freundlicherweise die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD in der Bremischen Bürgerschaft an die Landesregierung von Bremen gerichtet hatten.

Gefragt wurde im hohen Norden zum geplanten EU- USA- Freihandelsabkommen (TTIP), ob denn dem Senat zu Bremen das Verhandlungsmandat der EU-Kommission bekannt sei und wie dieses denn so laute. Die Antwort ist so unverschämt wie nicht verblüffend. Sie zeigt einmal mehr, dass Exekutiven unter Ausschluss unserer Parlamente nach Belieben schalten und walten können und dies auch tun. ACTA und andere Geheimkrämereien lassen grüßen:

 ….Der Senat hat über die Bundesratsdatenbank Eudisys Zugang zu den Verhandlungsleitlinien für ein Freihandelsabkommen der EU mit den USA, die der Rat (Auswärtige Angelegenheiten/Handel) der Europäischen Kommission am 14. Juni 2013 gegeben hat. Die Veröffentlichung diesesDokuments ist dem Senat allerdings gemäß Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Beschluss des Rates vom 31.03.2011 (2011/292/EU) derzeit untersagt, da die Verhandlungsleitlinien als „EU restricted“ eingestuft sind und lediglich oberste Bundes- und Landesbehörden darauf zugreifen dürfen….(Drs. 18/1187 v. 3. 12. 2013).

Zu Deutsch: Die GroKo treibt ein Abkommen voran, dessen Inhalte wie ausgeführt nicht einmal den an den GroKo- Verhandlungen beteiligten Abgeordneten bekannt sind. Sogar Landesverwaltungen wissen mehr- dürfen aber leider, leider nichts sagen.

Es wird Zeit, nach „Stoppt ACTA“ endlich zu rufen: „Stoppt TTIP“.

Wenn im Gegensatz zu Konzernen und Regierungsbeamten die Parlamente wieder einmal nicht darüber informiert werden, was deren Exekutiven ohne demokratische Legitimation und Transparenz auf internationaler Ebene so beliebig vor sich hin verhandeln, ist Widerstand angesagt.

Dass diese „Legitimation“ nun so stillschweigend und ohne Kenntnis der Verhandlungsinhalte durch diesen Koalitionsvertrag hergestellt werden soll, ist ein weiterer Skandal dieser Großen Koalition- noch bevor sie eigentlich begonnen hat.

Ist die GroKo alternativlos? NEIN!

Landauf landab trommelt derzeit die SPD- Führung bei den Mitgliedern der Partei für deren triste  „Große Koalition“. In trauter Eintracht beharken Vorstand, Ministerpräsidenten, „Verhandlungsgruppe“ und beflissene Hinterbänkler aller Flügel die Parteimitglieder, doch bitte mit JA zur GroKo zu stimmen. Gemeinsam sind sie überzeugt, in den Verhandlungen „viel erreicht zu haben“. Verwiesen wird vor allem auf Mindestlohn, Rente mit 45 Beitragsjahren, die Ehe bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft für hier geborene Menschen.

Doch sind das wirklich „Erfolge“? Jeder dieser Punkte ließe sich ganz ohne Koalition mit weit besserer Ausgestaltung, noch während der kommissarischen Amtszeit Merkels,  in den nächsten Wochen im Deutschen Bundestag verabschieden. Diese Mehrheit ist da. Sie wird ALLEIN von der SPD blockiert. Erinnert sei daher an Hessen, wo eine Ypsilanti damals noch vor Bildung einer neuen schwarzgelben Regierung wenigstens noch die Studiengebühren abschaffen konnte.

Für ein solches Konzept ist die Bundes- SPD aber schlicht zu phantasielos, zu feige und taktisch zu unfähig. Vielmehr wurde bereits VOR den Verhandlungen mit der Union darauf verzichtet, diese taktische Möglichkeit auch nur zu erwägen. So war es bequem, sich den „Verhandlungen“ hinzugeben, zumal man in der Steuerfrage und beim Betreuungsgeld bereits kapituliert hatte. Die Union hatte so alle Trümpfe im Spiel und führte die Sozialdemokraten nach allen Regeln der Kunst vor.

Stellen wir uns dagegen mal vor, Rot-Rot-Grün hätte diese Gesetze jetzt im November und Dezember rasch verabschiedet. Erst in Monaten wäre es dann irgendwann im Frühjahr 2014 nach Auflösung des Bundestags durch den Bundespräsidenten (sofern dieser überhaupt mitgespielt hätte) tatsächlich zu Neuwahlen gekommen.

Dann müsste die Union GEGEN einen eingeführten Mindestlohn, GEGEN die Homoehe, GEGEN die Staatsbürgerschaft und GEGEN eine bessere Rente für langjährige Beitragszahler Wahlkampf machen. Und genau DAS hätte sich die ausschließlich populistische und prinzipienlose Kanzlerin Merkel nie getraut. Ergo hätte es diese, von der SPD jetzt gefeierten, Verbesserungen auch ohne eine GroKo geben KÖNNEN.

Bei diesen Verhandlungen jetzt gab es keine Augenhöhe. Sicher war das Wahlergebnis schlechter als 2005. Zu keinem Zeitpunkt erinnerten sich die Sozialdemokraten aber offensichtlich daran, dass Frau Merkel eine Mehrheit braucht und eben NICHT die SPD. Man gab eigene Positionen gerne auf, um möglichst ins warme Unionsbett zu flüchten, „Staatsmann“ zu spielen und um schnell an seine schönen Dienstwagen zu kommen.

Doch diese Rechnung wird nicht aufgehen. Bei der nächsten Wahl wird Merkel eventuelle Erfolge dieser Koalition, bis hin zum Mindestlohn, für sich einheimsen. Der Folgedreck eines nicht mehr finanzierbaren Haushalts, in Ermangelung von Steuergerechtigkeit, wird  in einer Gesellschaft mit kurzem Erinnerungsvermögen an der SPD hängen bleiben. Und in den Ländern wird es für Rot und Grün bei den nächsten Wahlen vor 2017 nicht besser aussehen. Baden- Württemberg hat seinen Haushalt beispielsweise auf steuerliche Mehreinnahmen aufgebaut, die jetzt nicht kommen. Mit dem Abbau von 11.000 (!) Lehrerstellen wird es also nicht getan sein. Mit der großkoalitionären Zerstörung der regenerativen Energien werden selbst die bescheidenen energiepolitischen Ziele der grünroten Landesregierung nicht mehr erreichbar sein.

Dies ist das eigentliche Problem dieses Koalitionsvertrages. Ohne Option auf verbesserte Einnahmen, außer der Maut für ALLE Autofahrer, und mit einer Schuldenbremse ab 2015 (!), wird nichts an zusätzlichen Ausgaben möglich sein. Und DAS bleibt an der SPD kleben wie damals Merkels Mehrwertsteuerhöhung 2005 allein an ihr und nicht an Merkel hängen blieb. Und zwar im Bund wie in den Ländern, während sich die Union gemütlich zurücklehnen kann.

Denn zudem versagt und enttäuscht die SPD gerade auch dort, wo es gar kein Geld kostete. Wurde das Leistungsschutzrecht thematisiert? NEIN. Wurden wirkliche Konsequenzen aus dem NSA- Debakel gezogen? NEIN. Gibt es mehr Bürgerrechte bis hin zu einem verbesserten Informationsfreiheitsgesetz? NEIN. Gibt es netzpolitisch tatsächlich einen Sprung nach vorne? NEIN.

Vielmehr mehr gibt es mit der Vorratsdatenspeicherung künftig noch mehr Überwachungs- und Präventionsstaaat. Und für Letzteres greift Gabriel sogar zu schlichten Lügen, wie dessen Behauptung belegt, in Norwegen sei der Massenmörder Breivik wegen der Vorratsdatenspeicherung überführt worden.

Wenn aber der SPD- Vorsitzende schon zu dieser zentralen rechts- und innenpolitischen Frage derart dreist lügt: Wie ist es um dessen Wahrheit zu den restlichen Inhalten des Koalitionsmachwerks bestellt?

Der Widerstand gegen diese Große Koalition, der die SPD- Mitglieder mehrheitlich wohl wie die Lemminge folgen werden, ist also Bürgerpflicht. Sollten die Mitglieder ihrer Bürgerpflicht fürs Land wider Erwarten nachkommen, wäre für verbesserte Gesetze dennoch der Weg noch immer offen. Siehe oben. Und die Partei wäre zugleich ihren lügenden Vorsitzenden nebst Frau Nahles los. Was für eine reizvolle Aussicht, liebe SPD-Mitglieder! Allein dafür lohnt sich das NEIN zur GroKo.