Jo Menschenfreund ein Buch zu den “ Piraten auf falschem Kurs“ herausgegeben, das die überfällige Debatte zum Zustand dieser Partei belebt:
Auch wenn wir strategisch an unterschiedlichen Stellen unterschiedlicher Auffassung sind, bin ich gerne dem Wunsch des Herausgebers nachgekommen, zum Werk etwas beizusteuern: Hier ist der Beitrag, der im Buch als Vorwort zu finden ist:
Jörg Tauss* Mal was zu den Piraten
Überlebt die Piratenpartei ihren 7. Geburtstag? Alles spricht dafür, auch wenn die Piraten in ihrem siebten Jahr in der tiefsten Krise seit Gründung stecken. Denn auch mit nur noch 1% der Wählerstimmen ließe sich via Parteienfinanzierung längere Zeit überleben. Dennoch ist der Hype, der die Freibeuter zunächst in vier Landesparlamente spülte, zunächst offensichtlich vorbei. Manches ist dabei der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet.
So war und ist die Eurokrise lange Zeit das alles überschattende Megathema, das auch die Piraten kalt erwischte. Da es außerhalb ihrer Kernkompetenz lag, wurden sie hier nicht wahrgenommen oder gar mit dem Vorwurf konfrontiert, keine Lösungen anbieten zu können. Die etablierten Parteien hatten diese zwar auch nicht und selbst demokratiepolitisch wie ökonomisch fragwürdige Entscheidungen zu diversen Pakten und Einrichtungen, wie zur „Bankenrettung“ und zum ESM, konnten daran nichts ändern.
Zudem verbot es sich für die deutschen Piraten als Teil einer europäischen Bewegung, beim Euro eine populistisch antieuropäische Rhetorik zu bedienen, um Proteststimmen einzufangen. Die ein bis drei Prozentpunkte einer solchen Protestwählerschaft sind daher bei der AfD angekommen. Zumal diesem Teil der Wählerschaft klar wurde, dass die Piraten mehrheitlich, und entgegen des gelegentlichen Getöses um einige rechtsgerichtete Mitglieder, eher im linksliberalen Bereich anzusiedeln sind, als bei irgendeiner rechtspopulistischen Veranstaltung.
Für diese schlichte Situationsbeschreibung tragen die Piraten zunächst keine Verantwortung. Es ist und war Pech, wenn einer, zudem inhaltlich noch nicht gefestigten, Partei die Agenda abhanden kommt oder diese erfolgreicher von der politischen Konkurrenz bedient wird. Möglicherweise ändert sich dies aber wieder durch die aktuellen Überwachungsskandale.
Sollte dies nicht geschehen wäre es dennoch verfehlt, für die derzeit schwierige Situation der Partei allein politisch wechselnde Großwetterlagen verantwortlich zu machen. Hierfür gibt es auch eine Reihe hausgemachter Ursachen, die hier und in diesem Buch näher beleuchtet werden sollen.
Die Piraten der ersten Stunde waren bis ins Jahr 2009 hinein Bürgerrechtler mit liberalem Hintergrund, denen vor allem der internetfeindliche Überwachungs- und Kontrollstaat Sorge bereitete. Auslöser der Piratengründung war so auch in Schweden die Zerschlagung der Musiktauschbörse „Pirate Bay“und die damit verbundene Kriminalisierung der Mehrheit der schwedischen Jugend, die zu Tausenden zu den Piraten strömten und diese sogar mit zwei Sitzen ins Europaparlament hievten. Die Jugendlichen wurden von der alten Musikindustrie als Piraten beschimpft. So war es ein kluger Schachzug, den Namen zu übernehmen und den Spieß gegen die „Contentmafia“ umzukehren.
Doch schon im Bundestagswahlkampf 2009 zeigte sich trotz des damals heiß diskutierten Themas Internetsperren, dass das Thema Internet zu schmal war, um in größerem Maßstab Wählerinnen und Wähler anzulocken. Das Wort von der „1-Themen-Partei“ machte medial, wenngleich unberechtigt, die Runde. Unberechtigt deshalb, weil mit dem Thema Bildungs- und Wissensgesellschaft auch bereits damals weitere breite Politikfelder angesprochen waren.
Dass aber Realität und öffentliche Wahrnehmung oft auseinanderliegen, ist ein schwacher Trost, zumal die falschen Darstellungen von den Befürwortern einer Programmausweitung „Vollis“ innerparteilich gegen die „Kernis“ instrumentalisiert wurden. Letztere, welche die Kernaussagen der Gründungsphase weiter im Mittelpunkt haben wollten, gerieten rasch in die Minderheit.
Am deutlichsten wurde dieser Konflikt an den Auseinandersetzungen um ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE). Statt sich hier des Themas behutsam und grundsätzlich zu nähern, wurde es mit Formelkompromissen Teil des heutigen Grundsatzprogramms. Viele Mitglieder aus dem ursprünglich liberalen Lager wurden durch diesn Durchmarsch der BGE- Befürworter abgeschreckt und verließen die Partei. BGE wurde zur innerparteilichen Ersatzreligion und Ausgrenzungsthematik Andersdenkender, statt zum seriös zu bearbeitenden Politikfeld.
Dieser Stil der Ausgrenzung wurde so, nachdem er innerparteilich zweifelhaften „Erfolg“ hatte, zum durchgehenden innerparteilichen Erfolgsrezept. Innerparteiliche Diskussionen werden vor allem mit dem Mittel der Diffamierung und der Ausgrenzung geführt oder beendet. Kritiker des „Mainstreams“ werden wahlweise als Sexisten oder Nazis beschimpft.
Ein interessantes Beispiel hierfür war, schon vor der BGE-Debatte, die „datenschutzkritische Spackeria“, die völlig substanzlos die Ära der „Postprivacy“ ausrief und die klassische Datenschutzszene in Deutschland, bis hin zum Chaos Computer Club (CCC), quasi zu Gegnern der Piraten erklärte und sie auch so behandelte. Da auch dieser Konflikt, wie andere auch, innerparteilich nicht inhaltlich ausgetragen wird, dürfte der Langzeitschaden dieser Rundumschläge für die Partei noch größer als der BGE- Schaden sein.
Denn nicht ausgetragene Konflikte sind im politischen Bereich schlimmer als schwelende Dauerstreitigkeiten. Aber irgendwelche Konfliktlösungsstrategien gibt es bei den Piraten nicht. Ganz im Gegenteil. Dafür steht vor allem der gegenwärtige Bundesvorsitzende Bernd Schlömer, der von den Berliner BGE- Hardlinern ins Amt gehievt wurde. Schlömer übt sein Amt im Stile eines Aussitzers aus, der persönliche Arroganz mit Führungskompetenz verwechselt. Er dürfte der einzige Vorsitzende einer politischen Partei sein, der schon mal dazu aufruft, die Basis doch bitte gegen den Vorstand zu mobilisieren, wenn jemand eine Entscheidung in der Sache kritisiert und Transparenz einfordert.
Schlömer schafft es auch, Personalkonflikte zu schüren, statt zu lösen. Als der gewiss für manches Fettnäpfchen aufgefallene ehemalige politische Geschäftsführer Johannes Ponader wegen dessen Hartz IV- Bezügen vom Vorstand der Arbeitsagentur (BA) Heinrich Alt angerüpelt wurde, legte Schlömer nach und forderte ganz im Stile Kurt Becks („rasieren Sie sich mal“) via Spiegel nach: Ponader solle mal arbeiten.
Das aber ist nicht nur eklig sondern tödlich für eine Partei, die sich sonst für ein BGE ausspricht. Statt die Steilvorlage zu nutzen und den Rücktritt Alts zu fordern, wurde innerparteilich ein ganzer Porzellanladen zertrampelt. Denn natürlich wäre Alts unsägliche Attacke gegen Ponader geeignet gewesen, über die gesellschaftliche (Nicht-)Partizipation staatlicher Leistungsbezieher und der würdelosen Behandlung vieler Hartz IV- Opfer eine gesellschaftliche Debatte zu beginnen.
Damit verletzte Schlömer auch weitere Grundsätze der Partei, die sich damit rühmt, dass Vorstände für Organisation statt für Inhalte zuständig seien. Denn außer der ordentlich geführten Kasse wird vom Bundesvorstand wenig organisiert. Hoffnungslos überfordert sind Schlömer und viele seiner Vorstandskollegen mit der Organisation von Diskussionsprozessen, welche die Internetpartei dringend nötig hätte. Statt dessen lässt man auch hier die Züge aufeinander rauschen, wie zuletzt die selbstzerstörerische Debatte um elektronische Meinungsbildungs- und Abstimmungstools wie LQFB (Liquid Feedback) oder eine ständige Mitgliederversammlung (SMV) zeigt.
Auch hier sind die gewählten Gremien völlig unfähig, Debatten ergebnisorientiert auch nur zu moderieren. Statt dessen wird eher ein ständig vergrößerter Scherbenhaufen in Kauf genommen, der auch gutwilligste Menschen aus der Partei treibt. Dass die logisch klingende Anwendung solcher Tools zu unterirdischen Auseinandersetzungen führte und führt, hängt wiederum mit jenem Teil der Partei zusammen, der Schlömer ins Amt wählte. Ein Teil der Berliner Piraten und deren Verbündete wollen schlicht ein innerparteiliches Instrument gegen unbequeme Meinungen im eigenen Herrschaftsbereich haben.
Wer dort dann „falsche“ Anträge stellt wird gemobbt und bekämpft. Da wird dann schon mal geflissentlich ignoriert, dass wegen deren Manipulationsanfälligkeit Wahlcomputer von Piraten eigentlich abzulehnen sind. Doch genau deshalb wurde und wird nach der elektronischen ständigen Mitgliederversammlung gerufen: Die parteiintern „Ministalinisten“ genannte Minorität braucht ein solches innerparteiliches Manipulations- und Überwachungsinstrument, um endlich die von ihr gewünschten Mehrheiten bilden zu können. Danach sieht es im Moment aber nicht aus. Dennoch verschleißt gerade dieser Konflikt viele Mitglieder.
Doch noch weitere Probleme belasten die junge Partei, welche einmal mit dem Thema „Rechtsstaatlichkeit“ antrat. So attackierte (folgenlos) ein zwischenzeitlich aus der Partei ausgetretener Mitarbeiter (sic!) der Berliner Piratenfraktion, Urbach, den Strafverteidiger und Piraten- Bundestagskandidaten Udo Vetter, weil dieser auch schon Rechtsradikale vor Gericht vertreten hätte.
Ein noch tieferes Unverständnis von Grundsätzen eines Rechtsstaats offenbaren dann nur noch der Vorsitzende der Jungen Piraten, Florian Zumkeller-Quast oder der Berliner Abgeordnete Lauer. Zumkeller fordert ungeniert nach US-amerikanischem Vorbild die „soziale Ausgrenzung“ selbst resozialisierter Straftäter. Lauer will sogar den Ausschluss und Aufenthaltsverbote für Menschen, deren einziges „Verbrechen“ ist, nicht seiner Meinung sind und ihn zu stören. 500 Personen hat er deshalb nach eigener Angabe auch auf twitter entfolgt. Der Herr Abgeordnete mag keinen Widerspruch und keinen Diskurs.
Es ist erschreckend, dass solche politischen Offenbarungseide nicht zu einem Aufschrei führen, sondern innerhalb der Partei eher achselzuckend zur Kenntnis genommen werden. Selbstkritik ist Piraten ein Fremdwort. Dies ist der größte Widerspruch der jungen Partei. Weder mit medialer noch interner Kritik kann man umgehen. Attackiert werden nur Kritiker, die mit gewissen Entwicklungen nicht einverstanden sind.
Lauer verlor zwischenzeitlich zwar wenigstens sein Amt als Fraktionsvorsitzender. Doch nicht wegen seiner unsäglichen Geisteshaltung und seinen unhaltbaren Äußerungen, sondern wegen des Geruchs von Vetternwirtschaft zu Gunsten seiner Schwiegermutter und einer eigenmächtig angesetzten Pressekonferenz.
Solche Vorgänge gefährden natürlich zutiefst das Vertrauen in eine Partei, die angetreten war, es „anders“ zu machen. Auf Deutsch: Ein Fall Mollath wäre mit solchen „Piraten“, von Zumkeller bis Lauer, auch jederzeit möglich. Wie auch sonst als mit Stadtverboten oder der Psychiatrie kann man sich noch Andersdenkender und gewisser Trolle erwehren? Als Troll gilt innerparteilich übrigens jede Person, die an Vorständen kratzt.
Weshalb ich dennoch weiter (noch) diese Piraten unterstütze? Gewiss nicht wegen deren Führungspersonal. Sondern weil ich die Befürchtung hege, dass Wahlniederlagen der Piratenpartei den öffentlich- medialen Eindruck verstärken, Netzpolitik sei überflüssig und Bürgerrechte hätten trotz PRISM, Vorratsdatenspeicherung und Präventionsstaat eben keine Konjunktur oder seien gar bei den etablierten Bundestagsparteien gut aufgehoben. Dieser Schaden wäre zu groß und man sollte ihn wegen einiger heutiger Führungsfiguren(noch) nicht in Kauf nehmen.
Doch langfristig kommen die Piraten nicht darum herum, sich wieder auf ihre rechtsstaatlichen Grundsätze zu besinnen und ihre Inhalte aus einem gesellschaftlichen Freiheitsbegriff und einem, gerne linken, Liberalismus abzuleiten, der, im Gegensatz zur FDP, den Namen auch verdient. Die Lauers, Schlömers und andere der genannten Figuren sollten und müssen dabei auf der Strecke bleiben. Es wäre ein Befreiungsschlag und ein starkes Glaubwürdigkeitssignal für die angeschlagene Partei.
* Der Autor war MdB von 1994 – 2009 und nach Austritt aus der SPD- Bundestagsfraktion kurzzeitig erster Piraten-Abgeordneter im Deutschen Bundestag.
Hier nochmals der volle Link zum Buch:
http://www.xinxii.com/en/piraten-auf-falschem-kurs-p-345546.html