FRANK SCHIRRMACHER will in einem längeren Beitrag der FAZ wissen, weshalb Rezipienten und Produzenten von Kunst so „aufeinander losgehen“? Und er fordert: Schluss mit dem Hass. Ein schöner Wunsch zum Sonntag. Leider wenig mehr, auch wenn der seichte Artikel von Piraten bis Grün Zustimmung auslöst.
Erstaunlich: Denn in der Analyse von Ursache und Wirkung bleibt Schirrmacher oberflächlich. „Schuldige“ an der Misere sind in seinen Augen offensichtlich vor allem Abmahnanwälte. Von deren Existenz, folgt man der Logik des FAZ-Herausgebers, hätten aber die wenigsten Autoren oder gar die Buchbranche keine Ahnung.
„Die Literatur ahnt nichts von der Lebenswirklichkeit ihrer Durchsetzungsbüros und nur wenig von dem Regime, das sich in ihrem Reich der Freiheit entwickelt hat. Sie will den Menschen Freude, Unterhaltung, Sinn, was auch immer vermitteln und wundert sich über die Wut, die ihr Erscheinen bei einigen neuerdings auszulösen beginnt.“
Die unbeschreibliche Lebensfremdheit, die Schirrmacher hier jenen unterstellt, die er verteidigen will, wäre für mich als Unterzeichner diverser „Aufrufe“ schon fast beleidigend. Sind die Walsers und Regeners und Tatort-Schreiberlinge etc. etc. tatsächlich so der realen Welt entrückt, wie ihnen der FAZ-Herausgeber unterstellt? Auch die Musikindustrie ahne übrigens nichts von dem rührend beschriebenen Jugendlichen, dessen „erste Begegnung mit einem Werk damit ende, dass er in seinen Sommerferien jobben muss, um 1200 Euro Strafe zu bezahlen.“ Schnüff.
Also gut: Wenn dem so ist, darf man sich wohl künftig breite Unterstützung der Kreativen aus dem Tal der Ahnungslosen erhoffen, das Abmahnunwesen zu unterbinden. Gibt es da nicht einen Gesetzentwurf der Justizministerin mit einer Begrenzung der Abmahnungen auf 84.– Euro? Habe ich irgendwo die Forderung Schirrmachers gelesen, dies zu unterstützen? Gibt es von ihm einen flammenden Aufruf an die Union, hier nicht länger zu blockieren? Fehlanzeige.
Lass‘ uns doch Freunde sein, titelte die TAZ .Schön. Erster Freundschaftsdienst zur Beseitigung des „Hasses“: Börsenverein, Musikindustrie & Co geben in FAZ und TAZ bekannt, das Abmahnunwesen mit erwähnter gesetzlicher Regelung zu beenden.
Zweiter Vorschlag zur Güte: Der Börsenverein verhandelt ernsthaft und seriös mit Bibliotheken und Universitäten über ein modernes Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft. Er verzichtet auf die Forderung, letzte Schranken zugunsten dieser Bereiche zu beseitigen.
Dritter Vorschlag: Der Börsenverein räumt den langjährigen Diebstahl „geistigen Eigentums“ in deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen ein, mit dem „Wissenschaftsverlage“ Gewinne auf Kosten der Bildungsetats und somit der Steuerzahler erwirtschafteten, welche selbst die Automobilindustrie vor Neid erblassen lässt. Und dann reden wir ganz sachlich statt ideologisch über Fair Use und Open Access.
In der Tat könnten wir dann schneller damit aufhören, die Zeit mit Trivialitäten und Fäkalausbrüchen eines Sven Regener zu vergeuden, mit dem nach Schirrmachers Auffassung sogar Mitleid angebracht sei: Die Beleidigungen gegen den Ärmsten, die man im Netz so lesen könne, seien atemberaubend. Sorry. Wenn jemand Hass geschürt hat, dann wohl dieser Regener. Selbst da sollte man nicht Ursache mit Wirkung verwechseln.
Ihn muss man nicht beachten. Ernster nehme ich da jene Verleger, die unter anderem mit der „Hamburger Erklärung zum Schutz des geistigen Eigentums“ unter der Führung Springers in der EU ohne jeden vorherigen Dialog in der Tat tatsächlich jenen argumentativen Krieg eröffneten, den Schirrmacher heute der „Gegenseite“ anlastet. Herr Heveling und seine GEMA befindet sich auf dem Kriegspfad. Piraten traf ich dort beispielsweise bislang nicht.
Noch ein vierter Vorschlag zur Befriedung: Die Verlage, voran die FAZ, verzichten gegenüber der Bundesregierung auf ein „Leistungsschutzrecht“ und leisten so einen Beitrag zum Abbau von Wut.
Da es denen im Sinne Schirrmachers ohnehin nur darum gehe, „Menschen Freude, Unterhaltung, Sinn, was auch immer vermitteln“, müsste das doch leicht fallen. Wohl um von Verlegern abzulenken wird dann im weiteren Text jedoch schnell an die „Trägheit der Musikindustrie“ erinnert, entsprechende Angebote zu entwickeln. Nanu. Gilt dies nicht auch für Verlage?
Freiheit und Demokratie werden nicht durch Google bedroht
Es folgt dann die etwas merkwürdig anmutende Frage an die Nutzer, ja warum zahlen sie dann nicht einfach? Sorry, Herr Schirrmacher. Die zahlen. Sie zahlen auch jenseits von Amazon und iTunes. Sie zahlen mit jedem PC und mit jedem lausigen Speichermedium. Sie zahlen GEZ-Gebühren, um dennoch auf Befehl von Verlegern, auch Ihnen, nach 7 Tagen öffentlich-rechtlich enteignet zu werden. Sie zahlen für ihren Internetanschluss und viele User abonnieren auch Zeitungen.
Gerne kann also bei den „Erfahrungen auf beiden Seiten“ zwischen den Sphären des „Moralisch-Juristischen und des Ökonomischen“ getrennt werden. Das Märchen von der Kostenloskultur ist dann schnell als solches entlarvt. Und es wird dann schnell festgestellt, dass „üble“ Downloader und YouTube-Nutzer in Wahrheit die besten Kunden der Musikindustrie sind.
„Kein Urheber, kein Künstler, kein Schriftsteller kann wollen, dass seine Leser, Zuhörer oder Zuschauer überwacht werden“, sagt Schirrmacher. Auch hier ging die Realität wohl an den FAZ-Büros vorbei. Selbst Kinderpornografie erschien der Musikindustrie bekanntlich als höchst willkommenes Delikt, im Interesse des analogen Urheberrechts den Überwachungsstaat via Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren durchzusetzen.
Sorry, Herr Schirrmacher: Freiheit und Demokratie werden nicht durch Google, facebook und Apple bedroht. Es sind Regierungen und Diktatoren, welche das Netz als Bedrohung empfinden und auch unter dem Vorwand der vermeintlichen Sicherung „geistigen Eigentums“ bekämpfen. Böse Terroristen reichen da als Argument nicht mehr aus.
Tatsächlich: Dagegen stehen wir. Wir-sind-die-Buerger.de
Es geht beim Laden von Daten um Freiheit. Es geht um die Gestaltung einer Informations- und Wissensgesellschaft gegen Gatekeeper. Egal, ob es Diktatoren, Buchhandelsvereine oder wegen mir auch Google sein sollten. Darum geht‘s. Und nicht um das vordergründig unterstellte schwäbische Sparen durch „illegale“ Downloads.